Viele Jahre haben die Fans warten müssen, jetzt ist Neil Diamond endlich wieder auf Tour. Ein Vorabbesuch im Penthouse in London.

London. Im Penthouse des Londoner Dorchester-Hotels hängen ganze Wälder von vergoldetem Eichenlaub und schwere rote Brokatvorhänge, daneben ein Kamin, darauf die Statuette eines lorbeerbekränzten Hirtenjüngelchens. Als wollte man bei der Planung des Raums in den 50er-Jahren ganz sichergehen, dass kein Quadratzentimeter undekoriert bleibt. Am Tisch in der Mitte des Raums warten diverse Pressevertreter auf den Star der Runde. Als Neil Diamond schließlich erscheint, trägt er schlichtes Schwarz. Er setzt sich an den Tisch, schaut sich um und blickt in die Gesichter von sieben Journalisten, zwei Kamerateams und seiner eigenen, mehrköpfigen Entourage. Er grinst und stellt fest: "O Gott! Das ist hier ja wie bei einer Pressekonferenz."

Dann beginnt er zu erzählen. Nicht von Musik, sondern von Baseball. Und doch eigentlich von Musik: "Als ich klein war, feuerte jedes Kind in Brooklyn die Dodgers an und betete für einen Titelgewinn. Fast meine ganze Kindheit hindurch waren sie nah dran, ohne es je zu schaffen. Aber wir waren Brooklynites, und wir liebten unser Team. Und 1955, als ich 14 Jahre alt war, schafften sie es endlich. Ich stand am Fenster unserer Wohnung und brüllte: 'Die Dodgers haben gewonneeen! Yeaaaaah!'"

Diamonds Augen leuchten, dann trüben sie sich ein. "Im Jahr darauf wurde das Team verkauft, und für mich brach eine Welt zusammen. Mir ging es so schlecht, dass meine Eltern anfingen, sich Sorgen zu machen. Um mich wieder aufzuheitern, gaben sie mir die Chance, etwas zu tun, das ich noch nie vorher getan hatte. Sie boten mir an ..."

Bevor er weiterspricht, macht Diamond, jetzt ganz Geschichtenerzähler, eine kurze dramatische Pause.

"... Gitarren-Stunden zu nehmen. Das war der Beginn meiner professionellen Auseinandersetzung mit der Musik. Mit dem Verkauf der Dodgers verlor ich die Leidenschaft meines Lebens, durch die Musik fand ich eine neue."

Dass er mehr als ein halbes Jahrhundert später die Fragen von Journalisten beantworten würde, auch mit 70 Jahren um die Welt touren und Platten aufnehmen würde, war für ihn damals nicht einmal ein Wunschtraum. Seine Musikkarriere begann hinter den Kulissen, als mäßig bekannter Songschreiber. "Es war eigentlich unmöglich, damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es war geradezu lächerlich. Aber es war etwas, das ich geliebt habe."

Vom Schreiber zum Sänger, diesen Wechsel vollzog Diamond nicht über Nacht: "I'm A Believer", mit dem The Monkees großen Erfolg hatten, schrieb Diamond eigentlich für sich selbst. Auch mit einem seiner späteren Langzeithits, "Sweet Caroline", begeisterte zunächst Elvis Presley sein Publikum. Dass Diamond den Weg aus dem Hintergrund auf die Bühnen der Welt fand, führt er auf Bob Dylan und die Beatles zurück. Sie hätten ihm und "Hunderten anderen" den Weg bereitet, um als Künstler, der nicht nur singt, sondern seine Lieder auch selbst schreibt, erfolgreich sein zu können. Ansonsten resümiert er mehr als 128 Millionen verkaufte Alben, einen Platz in der "Songwriters Hall Of Fame" und neuerdings auch einen in der "Rock 'n' Roll Hall Of Fame" lapidar: "Ich habe Glück gehabt."

Glück und ein Gespür für den Massengeschmack, das er selbst nicht genau erklären kann: "Die Regeln, wie man Songs schreibt, muss man sich selbst beibringen - wenn es überhaupt welche gibt. Ich weiß immer noch nicht, woher die Ideen kommen. Ich weiß nur, dass ich immer noch besser werden möchte." Doch was ein gutes Lied ausmacht, weiß er ganz sicher: "Die Musik soll etwas im Zuhörer auslösen. Sie soll die Menschen zum Tanzen, zum Weinen bringen, sie sollen sich selbst hören in der Musik, über ihr Leben nachdenken. Das möchte ich mit meiner Musik erreichen, denn all das geht auch in mir selbst vor, wenn ich die Songs schreibe."

Die Leidenschaft, von der er vorher sprach, man kann sie jetzt hören und sehen. Diamond spricht eindringlich, unterstreicht seine Worte mit sparsamen Gesten. Auf die Frage nach seinem Verhältnis zur Musikkritik, die ihn zum Gutteil erst seit der Zusammenarbeit mit der Produzenten-Legende Rick Rubin wirklich ernst nimmt, sagt er: "Ich habe früh realisiert, dass Musikkritiker meine Arbeit nicht mögen werden. Doch die Kritiker, das waren ein paar Leute. Denen gegenüber standen Millionen von Hörern. Also habe ich nie viel auf die Kritiker gegeben." Er blickt in die Runde und schiebt eine Entschuldigung hinterher. Er wolle "niemandem zu nahe treten. Aber das Gefühl, dass in meiner Musik etwas von Wert steckt, hatte ich schon immer."

Die Alben - "12 Songs" und "Home Before Dark" -, die er mit Rubin aufgenommen hat, hätten ihm aber etwas klargemacht: "Bei Rick geht es nur um die Musik. Die Aufnahmen betonen den Song, nicht die Produktion. Dadurch stehen die Lieder unter enormem Qualitätsdruck. Wenn ich also sehr einfache Aufnahmen von Songs machen möchte, ohne die Unterstützung von Streicherensembles, Bläsern und anderen Sängern, dann müssen diese Lieder von sehr hoher Qualität sein."

Jetzt ist er wieder auf Tour. Und spielt wieder in Hamburg. Eine Erinnerung an seine Heimat hat er dann auf jeden Fall dabei: einen pinken Gummiball, "genau so wie der, mit dem ich schon in Brooklyn gespielt habe". Kurzerhand schickt Neil Diamond jemanden los, um das gute Stück aus dem Safe (!) zu holen. "Ihr dürft ihn alle anfassen. Keine Angst, es ist ein wunderbarer Ball." Und so wird aus einer Riege Musikjournalisten ein Haufen Kinder, die den Ball durch den Raum hüpfen lassen. "Wenn ich sonst ein Spielzeug geschenkt bekomme, gebe ich es meinen Enkeln. Aber nicht den hier. Will jemand nach dem Interview mit mir eine Runde spielen?" Das Angebot wirkt so ehrlich, so echt, dass seine Begleitung einschreitet, bevor ihn jemand beim Wort nehmen kann. "Wir müssten fertig werden." Schade. Wir hätten gern mit Neil Diamond eine Runde Ball gespielt.

Neil Diamond Mi 22.6., 20.00, O2 World (S Stellingen), Sylvesterallee 10, Restkarten ab 83,10 im Vvk.