Das Ernst-Barlach-Museum zeigt Meisterwerke des Expressionismus in der Ausstellung “Das große Welttheater“

Wedel. Die Idylle der Moritzburger Teiche, wo die Maler der Künstlervereinigung "Brücke" Anfang des 20. Jahrhunderts ursprüngliches Leben, Erotik und Natürlichkeit fernab der bürgerlichen Konventionen suchten, wurde bald zerrissen durch den Furor des Krieges. Entsetzt erlebten Künstler wie Otto Dix den mörderischen Alltag auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, der nicht nur die Monarchie und die alte politische Ordnung Europas aus den Angeln hob, sondern die gesamte Gesellschaft in ihren scheinbar so zementierten Formen bis in die Grundfesten erschütterte.

Und auch was folgte - Revolution und Restauration, Hunger und Inflation, großstädtischer Glanz und völkische Ressentiments -, war Nährboden für eine künstlerische Ära voller Wucht und Kreativität, die in Musik, Theater, Literatur, Tanz, Film und Architektur, vor allem aber in der bildenden Kunst lustvoll alle Normen brach und zum Inbegriff des Aufbruchs wurde.

Die Gemälde, Grafiken und Plastiken des Expressionismus sind der künstlerische Ausdruck eines wirklich großen Welttheaters, der von Hoffnung und Hass, Leidenschaft und Verzweiflung zeugt.

"Das große Welttheater" heißt auch eine Ausstellung mit Kunst des Expressionismus, die am Sonntag im Ernst-Barlach-Museum Wedel eröffnet wird. Zu sehen sind Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken von Emil Nolde, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, August Macke, Otto Mueller, aber auch von Max Beckmann, Otto Dix, Conrad Felixmüller, Christian Rohlfs und Otto Dix. Darunter befinden sich Ikonen der Moderne, aber auch wenig bekannte Kunstwerke, die in ihrer Zusammenschau das faszinierende Panorama einer großen Kunstepoche erkennbar werden lassen.

Bewusst haben die Ausstellungsmacher Heike Stockhaus und Jürgen Doppelstein auf ein chronologisches Konzept verzichtet und die Werke statt dessen so geordnet, dass Dialoge und Korrespondenzen, aber auch Gegenpositionen erkennbar werden. Kommentiert und verbunden werden die teils ähnlichen, mitunter auch gegensätzlichen Positionen durch Texte aus dem "Großen Welttheater" des spanischen Dichters Pedro Calderón de la Barca. Dieses 1655 erschienene sprachgewaltige Mysterienspiel, in der die Welt zur Bühne des großen menschlichen Dramas wird, passte hervorragend zum Lebensgefühl der aus den Fugen geratenen 1920er-Jahre, weshalb es die Künstler des Expressionismus stark beeinflusste.

Die Werke, die das Wedeler Barlach-Museum jetzt zeigt, stammen aus einer der qualitätvollsten und interessantesten deutschen Privatsammlung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Brüdern Karl und Josef Nierendorf begründet wurde. Kunstsammeln und Kunstförderung war für die beiden Galeristen und Verleger, die zunächst in Köln und Düsseldorf und ab 1920 in Berlin aktiv waren, eng miteinander verbunden.

Die Brüder hatten von Anfang an ein außergewöhnliches Gespür für die gegenwärtige, sich noch entwickelnde Qualität von Kunst, kauften früh Dix und Klee, Ernst und Grosz, Beckmann und Feininger und hielten ihren Künstlern auch dann noch die Treue, als diese in das Visier der Nationalsozialisten gerieten und später von der NS-Kulturpolitik als "entartet" verfemt wurden.

Als im Sommer 1937 in München die berüchtigte Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt wurde, emigrierte Karl Nierendorf in die USA und eröffnete direkt gegenüber dem New Yorker Museum of Modern Art seine Nierendorf Gallery, die die Werke von Klee, Kandinsky, Hofer, Marc, Lehmbruck und Barlach in den USA bekannt machte. Sein Bruder Josef musste dagegen 1939 die Berliner Galerie schließen.

Nach Kriegsende gelang den Brüdern kein gemeinsamer Neustart ihrer Galerie in Berlin. Karl starb 1947, und da er keine US-Staatsbürgerschaft besaß, fiel sein gesamter Kunstbesitz an die Stadt New York. Wegen des Nachkriegsembargos konnten die deutschen Erben keine Ansprüche stellen. Unter fragwürdigen Bedingungen übernahm die Guggenheim Foundation den Großteil des Nierendorf-Nachlasses für den Spottpreis von 72 500 Dollar.

Josef Nierendorf bereitete mit den über den Krieg hinweggeretteten Werken das Comeback seiner Berliner Galerie vor, starb aber kurz vor deren Wiedereröffnung 1949. Schließlich ist es Florian Karsch, der Stiefsohn von Josef Nierendorf, der die Galerie 1955 im damaligen West-Berlin wiedereröffnet. Die Galerie, die bis heute existiert, umfasst mehr als 12 000 Werke der klassischen Moderne. Eine Vitrine mit historischen Fotos und Originaldokumenten dokumentiert das Schicksal dieser einzigartigen Privatsammlung, von deren außerordentlicher Qualität die Ausstellung einen faszinierenden Eindruck vermittelt.

Das große Welttheater. Expressionismus und Neue Sachlichkeit aus der Sammlung Karsch/Nierendorf Berlin. Barlach-Museum Wedel, Mühlenstraße 1. Zur Eröffnung am 19.6., 15.00, spricht Joachim Karsch. Bis 23.10., Mo-Fr 11.00-17.00