Die legendären Eagles gehen wieder auf Tour. Am 28. Juni spielen sie in Hamburg. Vor dem Deutschlandkonzert haben wir sie in Taiwan getroffen.

Taipeh. Es gibt kein Bier auf Taiwan. Jedenfalls nicht vor dem Beton-Oval des Nationalen Gymnastikzentrums, das rund 25 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums der Hauptstadt Taipeh auf einem Hügel liegt. Und drinnen im Foyer gibt es auch kein Bier, kein Mineralwasser, keine Snacks und Süßigkeiten, sondern bloß einen einzigen, umlagerten T-Shirt-Shop. Und natürlich ganz viele Chinesen, die zu den Stühlen in der Hallenmitte strömen und Platz nehmen und in disziplinierter Erwartungshaltung auf die Bühne starren, wo gleich die Eagles auftreten sollen. Diese Band ist mit 120 Millionen verkauften Platten die erfolgreichste amerikanische Rock-Combo aller Zeiten. In Asien ist sie zum ersten Mal auf Tour.

In der Halle herrscht strengstes Fotografierverbot. Darauf achten fünf Ordner. Sie tragen akkurat gebügelte weiße Hemden und stehen im Abstand von exakt sechs Metern in einer Reihe mit dem Rücken zur Bühne. Sie halten große Pappschilder hoch, auf denen das Piktogramm einer Kamera mit einem fetten roten Balken durchgestrichen ist. Die Einzigen, die das nicht kapieren, sind die etwa 50 Amerikaner im Publikum, die sich feixend auf dieses kulturelle Wiedersehen mit einem Stück Heimat freuen. Sie werden vom Oberordner, einer Symbiose aus Schwarzenegger und Jet Li, immer wieder dazu ermahnt, ihre iPhones wegzupacken.

Als eine ihrer Hymnen erklingt, weicht die Parteitagsstimmung in der Halle

Dann verlöscht mit der üblichen 20-minütigen Verspätung das Licht und Glenn Frey, Don Henley, Tobias R. Schmit und Joe Walsh, zusammen exakt 251 Jahre alt, betreten gemessenen Schrittes die Bühne. Der Jubel ist verhalten, sieht man mal von den Amerikanern ab. Ihre iPhones kommen wieder zum Einsatz, der wachsame Oberordner hat mächtig zu tun. Das Durchschnittsalter des Publikums liegt geschätzte 30 Jahre unter dem der Eagles.

Die Herren Musiker lassen sich ihre Instrumente reichen. Bloß keine Hektik. Auch der zweite Leadgitarrist, Steuart Smith - der das 2001 geschasste Bandmitglied Don Felder im Verlauf des gut dreistündigen Konzerts locker ersetzen kann - freut sich wie auch die acht Begleitmusiker, die lässig ins Publikum winken. Vereinzelt sind ekstatische Juchzer zu hören und "Yeahs" - von den Amerikanern, wem sonst.

"Seven Bridges Road", "How Long", "I Don't Want to Hear Anymore": Der Sound ist hervorragend, die Multimediashow und alle anderen optischen Effekte sind angenehm reduziert. Doch die ersten Stücke dümpeln nur so dahin. Die Hallenluft ist trocken. Doch plötzlich ist der Durst vergessen, als nach einem furiosen Mariachi-Auftakt sich plötzlich der Beat verlangsamt und die Hymne erklingt: "On a dark desert highway, cool wind in my hair ..." Da weicht die Parteitagsstimmung im Nationalen Gymnastikzentrum von Taiwan endlich einem Hauch von Hingabe. Jetzt erheben sich auch die ersten Einheimischen von ihren Plätzen. Endlich wird es ein richtiges Konzert. Ganz ohne Bier.

Rückblende. Auf dem großen runden Tisch im klimatisierten Hyatt-Conference-Center liegt eine schwere Leinentischdecke, darauf ein halbes Dutzend verschnörkelter Tee- und Kaffeetassen, aus zwei verchromten Thermoskannen entweicht schmurgelnd etwas Dampf. Schlagzeuger und Sänger Don Henley, Gitarrist Joe Walsh und Bassist Timothy B. Schmit (Glenn Frey lässt sich entschuldigen, er ist oben in seiner Suite geblieben, da er sich nicht fühle) schlendern herein; drei freundliche Herren in den Sechzigern mit festem Händedruck. Ja, sie hätten sich längst daran gewöhnt, dass sie stets als "berühmte, kalifornische Country-Rock-Band aus den 70er-Jahren" beschrieben würden. Was so jedoch nicht stimmte: "Joe wuchs auf in New Jersey, Ohio und Kansas, Glenn in Detroit, ich bin Texaner, und Timothy ist der Alibi-Kalifornier", sagt Don Henley, das Sprachrohr der Band. In seinem Flanellhemd und mit dem grauen Bart könnte er als Hemingway-Doppelgänger durchgehen. "Bei uns verschmelzen Blues, Bluegrass, Country, Rhythm 'n' Blues, Rock", erklärt er. Sanft, na klar, das seien nur ihre Balladen. Aber sie könnten auch Gas geben. Und die Sache mit Kalifornien habe natürlich was mit "Hotel California" zu tun - eine Assoziation.

"O ja, das Publikum hat eine sehr emotionale Bindung zu der Originalversion des Songs, so wie es ihn seinerzeit im Radio gehört hat", doziert Schmit, der nicht nur äußerlich den Part des sozialpädagogisch orientierten Friedensaktivisten übernommen hat. "Außerdem sind wir an Selbstmord nicht interessiert", fügt Henley lächelnd hinzu. Nie und nimmer würden sie ihren größten Hit gar nicht oder verfremdet auf der Bühne präsentieren. "Wir sind keine experimentelle Band. Wir sind berechenbar, und das erklärt, warum wir auch nach einer so langen Zeit immer noch gut im Geschäft sind." Die Entscheidung falle schließlich an der Ticketkasse. Und füllten sie etwa nicht die Arenen auf der ganzen Welt? "Um die Wahrheit zu sagen", sinniert Henley, am Tee nippend, "ein Teil dessen, was wir verkaufen, ist pure Nostalgie."

So war es gerade in Australien, so ist es in Asien, so wird es auch in Deutschland (und am 28. Juni in der Hamburger O2 World, wo es dann auch Bier, Wein und Prosecco zu kaufen gibt) sein. Doch auf ihrer "Long Road out of Eden"-Tour vertreiben die Eagles - nicht zuletzt durch ihre fulminanten Bläser im Blues-Brothers-Style - bei den schnellen Nummern wie "Heartache Tonight" mühelos jeden Gedanken an eine müde Oldie-Revue. Auch Joe Walsh, der mit seinen halblangen blondierten Haaren und einem lässigen Sakko überm Glitzer-T-Shirt als einziger Eagle dem Klischeebild eines Rockstars entspricht, wirkt lediglich zu Beginn des Konzerts etwas abwesend und scheint zunächst nur auf seine Soli fixiert. Doch dann explodiert förmlich der "Master of the Stratocaster" und dominiert das letzte Drittel der Show.

Am Tag zuvor beim Round-Table-Gespräch, hat Walsh ziemlich müde gewirkt. "Jeden Abend um acht musst du drei Stunden lang wieder 25 sein", sagt er mit krächzender Stimme und tupft sich den Nachschweiß seines 90-minütigen Work-outs im hoteleigenen Fitnesscenter von der Stirn. Es sei für ihn eine körperliche Herausforderung, in fortgeschrittenem Alter so lange Konzerte zu stemmen. "Gerade für 'Hotel California' muss man hellwach und konzentriert sein, um das Doppel-Gitarrensolo perfekt hinzubekommen", sagt er. Auch deshalb habe er "Sex and Drugs and Rock 'n' Roll" längst durch vitamin- und ballaststoffreiche Kost und verlängerte Ruhezeiten ersetzt. "Außerdem", sagt Walsh grinsend, "sind unsere Groupies jetzt ja Großmütter."

Inzwischen sind die Drogen vollwertiger Kost und Ruhe gewichen

Don Henley hat inzwischen ein Dreieck aus Bleistiften auf die Tischdecke gelegt, grafisches Synonym für die Altersteilzeit eines Rockstars: Ein Stift symbolisiert die Eagles, der zweite markiert seine Soloprojekte, der dritte steht für seine Familie, Henleys Privatleben. "Drei bis vier Monate pro Jahr auf Tournee: Das reicht!", sagt er, "ich will Bücher lesen, ins Kino gehen, angeln und Zeit mit meinen Kindern verbringen." Walsh nickt bedächtig. Damals in den 70er-Jahren sei ihnen der Erfolg sicherlich über den Kopf gewachsen, ergänzt er. Da war ja auch einer ihrer größten Hits Programm: "Life In The Fast Lane". Doch genau dieses Leben auf der Überholspur, von der Bühne ins Tonstudio und über Pressetermine und Partys wieder zurück, machte die Adler damals flügellahm. 1980 hatten Henley und Frey sich dann dermaßen zerstritten, dass "eher die Hölle zugefroren wäre, als dass wir wieder gemeinsam aufgetreten wären", sagt Schmit. Zum Glück stimmten auch nach 14 Jahren noch die alten Telefonnummern. Man traf sich - gereifter, weiser und abgeklärter - in einem Tonstudio und beschloss das gemeinsame Comeback, das mit einem selbstironischen Titel eingeläutet wurde: "Hell Freezes Over".

Es sollte aber noch weitere 13 Jahre dauern, bis die Eagles mit der Doppel-CD "Long Road Out Of Eden" ein neues Studioalbum vorlegten. "Wir haben das in erster Linie für uns gemacht", beteuert Don Henley, "denn uns war von Anfang an klar, dass gerade der USA-kritische Titelsong in unserer Heimat nie im Radio gespielt werden würde." Sie hätten auch von Anfang an damit gerechnet, dass sie einen Triumph wie "Hotel California" aus den Siebzigern nicht wiederholen könnten. "Es gibt einen Gipfel in jeder Karriere", sagt Henley, "und das ist jener Moment, wenn sich deine Musik im Einklang mit dem Zeitgeist befindet. Das geht leider nicht zweimal - über kurz oder lang könnte also Schluss sein."

Timothy B. Schmit hebt die rechte Hand. Es sieht nach einem Einwand aus. "Meine Freunde, die nicht im Musikbusiness sind, fragen mich natürlich öfter, wann ich aufhören will. Aber solange ich noch klar im Kopf bin, sehe ich das nicht." Joe Walsh beginnt in diesem Moment von Benny Goodman zu schwärmen, der mit 82 noch die Carnegie Hall zum Swingen gebracht habe. Doch Don Henley bremst die juvenile Euphorie seiner Bandmitglieder: "Ich glaube, so lange werden wir nicht weitermachen!" Der Sommer 2012, wenn ihr erster Hit "Take It Easy" den 40. Geburtstag feiern würde: "Das könnte ein guter Zeitpunkt sein, um sich von der Musikwelt zu verabschieden." In seiner Stimme schwingt Pathos mit.

2012 seien doch die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA, murmelt Schmit. Und so wie Henley spräche, sei er doch genau der richtige Gegenkandidat für Sarah Palin. Die drei Eagles brechen in schallendes Gelächter aus. "Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Republikaner es zulassen, die Palin als Präsidentschaftskandidatin aufzustellen", sagt Henley, "falls das aber doch passiert, wandere ich nach Kanada aus." Es hört sich wirklich so an, als meint er das ernst.

Groß war die Angst vor einem Einsatz in Vietnam, die Army verschonte sie

Fast wären die Eagles schon mal so weit gewesen. Auf dem Weg von Singapur nach Taipeh überflogen sie das Südchinesische Meer, unter ihnen lag Vietnam, lagen Da Nang und Saigon. Das habe in ihnen sofort Erinnerungen wachgerufen an jene Zeit, als Zigtausende junge Amerikaner dort im Dschungel gegen den Vietcong kämpften und starben und gleichzeitig ebenso viele junge amerikanische Männer versuchten, sich irgendwie dem gefürchteten Einberufungsbefehl zu entziehen. "Es war wie eine tödliche Lotterie, die jahrelang wie eine dunkle Wolke über unseren Köpfen schwebte", sagt Schmit. Zum Glück hätte der Ruf der Army jedoch keinen von ihnen erreicht. "Aber nicht mal in unseren kühnsten Träumen hätten wir damals daran gedacht, irgendwann in diesem Teil der Welt einmal Konzerte zu geben."

Die sind jetzt fast alle so gut wie ausverkauft, trotz der happigen Ticketpreise. Henley breitet bedauernd die Arme aus. "Antiquitäten sind eben teuer. Wir versuchen immer, gestufte Ticketpreise anzubieten, damit sich jeder die Eagles leisten kann. Aber die Kosten einer Tournee steigen ständig. Wir sind mit fast 100 Leuten unterwegs. Von Australien mussten wir unsere Anlage zwei Monate im Voraus hierher nach Asien schicken, auf einem Schiff. Das allein kostet eine Million Dollar. Doch um den Leuten etwas zurückzugeben, spielen wir nie unter drei Stunden - ganz egal, wo wir auftreten."