Bushido, Büchner und Heiner Müller liefern beim Kaltstart-Festival Zündstoff für Musik-Theater-Performances

Hamburg. Büchners "Woyzeck" ist mit den Songs von Tom Waits längst in der Provinz angekommen. Knöpft sich aber ein Metal-Musiker aus München den Klassiker vor und entdeckt dessen rebellische Kraft, dann klingt das weitaus böser, rauer, wütender, die Ohren sprengend. In seinem Theaterkonzert "Ich, Georg Büchner" hämmert und schreit Ludo Vici mit Band den Protest gegen die Oberen aus sich heraus, dass die Fliesenwände im Frappant in der Viktoria-Kaserne erzittern.

Auch in der benachbarten Bernsteinbar attackieren die Performer vom "Roten Sektor" brüllend und wild tanzend den schafsköpfigen Herdensinn des Volkes und versuchen es mit harten Beats und starken Parolen aufzurütteln. Rap und Rockmusik, gesampelt und mit Texten montiert, sind auf der Theaterbühne derzeit sehr beliebt, wie drei Gigs beim Kaltstart-Festival - allerdings in unterschiedlicher Qualität - beweisen.

Aufrütteln ist weniger die Motivation eines Rappers wie Bushido. Eher radikal-subjektiv die eigene Gefühlswelt in expliziten Texten zu verdauen. Für den Theaterabend "Bitchfresse - Ich rappe also bin ich" hat Regieassistent Robert Teufel am Nationaltheater Mannheim gemeinsam mit den Musikaffinen Darstellern Matthias Thömmes und Sascha Tuxhorn aus Versatzstücken der Biografie des Berliner Rappers, Talkshowauftritten und Songtexten eine lautstarke Collage montiert.

Zwei nette, Anzug tragende Jungs stehen da erwartungsvoll vor einem mit Graffiti besprühten Tor. Doch wehe, sie nehmen Gitarre (Tuxhorn) und Mikrofon (Thömmes) in die Hand. Das pure Getto tost ihnen aus dem Mund: Schimpfwörter, Verbalinjurien, Sexismus. Der Versuch, in nachgestellten Talkshowsituationen den Sinn frauenverachtender Texte zu ergründen, erschöpft sich in authentischen, aber gesampelten Kommentaren des Schauspielers Sky Dumont. Eingeordnet wird nichts. Köstlich allerdings, wenn Tuxhorn Bushidos Mutter, im Film "Zeiten ändern dich" gespielt von Hannelore Elsner, persifliert.

Ludo Vicis Identifikation mit Büchner, dem steckbrieflich gesuchten Mediziner von 21 Jahren, bringt dagegen die Aktualität der revolutionären Texte des Dichters zu Gehör. Singend und spielend gibt der Gitarrist den Passagen aus dem "Hessischen Landboten", aus "Lenz" und "Dantons Tod" einen eigenen Drive und Rhythmus, zeigt den Poeten Büchner als einen James Dean der Dramatik. Dagegen wirken Andreas Mayers Karikaturen von Professoren und Doktoren eher schulmeisterlich. Wort und Musik sind Herz und Power dieser bereits im Titel selbstherrlich angekündigten One-Man-Show, die das Pseudonym Ludo Vicis einlöst: "Ich spiele, also siege ich."

Gegen die Manipulation des Menschen im Dienst von Machtpolitikern, Widerständlern oder Wissenschaftlern läuft auch die Andrea Pani Laura Company im Tanz-Käfig der Bernsteinbar tapfer zum Electro-Beat Sturm. Und gegen eine Handvoll rätselnder und verblüffter Zuschauer. Denn die in Berlin lebende Schauspielerin mit peruanischen Wurzeln bezieht sich ihrer unausgegorenen Show "Roter Sektor - Die Geburt der Maschine" auf die Geschichte ihres Heimatlandes und den Terror der Widerstandsorganisation "Leuchtender Pfad".

Beim Remix aus Musik, Songs und Texten aus Heiner Müllers "Hamletmaschine" und dem Roman "Roter April" von Santiago Roncagliolo flüstern oder brüllen die Akteure in rebellischer Kampfmontur häufig Unverständliches ins Mikro. Einen poetischen Moment bringt Anwen Ortiz mit ihrem Lied an den Mond hinein, doch spätestens wenn ihre Mutter Sonia den Guerilleros ein höhnisches Bella Ciao singt, kippt die Show in parodistischen Partisanen-Punk. Dazu bearbeitet Roberto de Buenos Aires die E-Gitarre und schüttelt sein Haar. Und der Zuschauer? Er weiß nun zumindest, wie energiegeladen wütend Müllers deutsche Endzeitprosa auf Spanisch oder der Klassiker Büchner aus Rockerkehlen klingen kann.

Ich, Georg Büchner 16.6., 20.00, Frappant (Viktoria-Kaserne); Jenseits von Eden, 20.30, Haus III&70; Kaltstart-Festival bis 2.7., diverse Spielorte, Programm unter www.kaltstart-hamburg.de