US-Dirigent Jeffrey Kahane und die Symphoniker entdecken ein Meisterwerk von Kurt Weill

Hamburg. Was so ein paar persönliche Worte doch ausmachen können. Zu Beginn der zweiten Konzerthälfte nimmt sich Dirigent Jeffrey Kahane vier Minuten Zeit, um den Besuchern der Laeiszhalle von Kurt Weill zu erzählen: Der hatte seine zweite Symphonie 1933 begonnen, bevor er aus Nazi-Deutschland floh und beschloss, kein deutscher Komponist mehr zu sein. Kahanes Mutter fasste 1940 einen ganz ähnlichen Entschluss, sie verließ ihre Heimat ebenfalls für immer - und zwar mit einem Schiff aus dem Hamburger Hafen. Deshalb sei es für ihn etwas ganz Besonderes, die Weill-Symphonie ausgerechnet in der Hansestadt zu dirigieren, sagte der amerikanische Maestro unter dem Applaus des Publikums und auch der Hamburger Symphoniker.

Da hört man doch gleich ganz anders hin. Die Ohren sind viel weiter geöffnet, nicht nur für die Töne, sondern auch für die Botschaft der Musik. Und die kündet unüberhörbar vom jüdischen Schicksal der erzwungenen Entwurzelung. Vom ersten Takt an scheint ein Schatten auf dem Stück zu liegen, der die Stimmung permanent verdunkelt. Wenn die Streicher zwischendrin schlagermäßig groovende Rhythmen ansetzen, wirkt es wie der vergebliche Versuch, sich den Schmerz von der Seele zu tanzen. Doch der Fröhlichkeitsanlauf scheitert. Das Lächeln gefriert zur Maske, wie beim Kollegen Schostakowitsch, an dessen Klangsprache Weills halbstündiges Stück mehr als einmal erinnert, auch im Finale, mit seiner beißenden Ironie und dem schrillen Kreischen der Piccoloflöte.

Im zentralen langsamen Satz, einem düsteren Trauermarsch, lässt der Komponist ab und zu eine Erinnerung an die jüdische Klemmer-Tradition aufschimmern - etwa beim Klarinetten-Solo, in dem das Instrument leise zu weinen scheint. Hier, wie auch beim anschließenden Auftritt der Posaune, präsentierten sich die Musiker der Hamburger Symphoniker in sehr guter Verfassung und folgten ihrem sympathischen Gastdirigenten hoch konzentriert. So formte Kahane mit Herzblut und energischen Gesten eine eindringliche Interpretation von Weills zweiter Symphonie. Eine großartige Entdeckung, dieses vollkommen zu Unrecht vergessene Meisterwerk!

Dagegen verblasste die erste Hälfte des Programms recht deutlich. Pierre Jalberts Stück "Les Espaces infinis" ("Die unendlichen Räume"), eine sphärische Klangreise mit sternklarem Streicherleuchten, wirkt wie eine hübsche, aber nicht gerade weltbewegende Science-Fiction-Filmmusik. Auch Mozarts C-Dur-Klavierkonzert - das Kahane selber spielte und vom Flügel aus leitete - hatte einige schöne, intime und auch überraschende Momente, lief jedoch intonationsmäßig haarscharf neben der Spur. Da waren die Bläser nicht so ganz aufs Klavier eingestimmt.

Deshalb bleibt von diesem Abend vor allem die packende Weill-Aufführung im Gedächtnis haften. Auch, aber nicht nur, weil ein paar persönliche Worte einen gewaltigen Unterschied machen.