Ein wildes Puzzle aus Text, Bild und Tanz: Der amerikanische Ausnahme-Choreograf und Tänzer Richard Siegal gastiert beim Live Art Festival

Kampnagel. Das Spiel der Finger, stark vergrößert in der Videoprojektion: Die Mechanik des Körpers wird aufgelöst in virtuelle Bilder, die ihrerseits Impulse zu physischer Bewegung im Bühnenraum auslösen. Der Tanz im Dialog oder Duell mit den elektronischen Medien? Der amerikanische Choreograf und Performer Richard Siegal führt in "As If Stranger" seine Recherchen über die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine fort. Mit dem Stück beschließt der Artist in Residence am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) seine "Stranger"-Trilogie, die sich mit der Entfremdung und dem Fremdwerden des Körpers im Overkill der neuen Technologien beschäftigt. Siegal hat das 2008 in New York uraufgeführte Solo zu einem Duo mit Camille Revol ausgeweitet und präsentiert es beim Live Art Festival auf Kampnagel.

Der Mann mit der schwarzen Wollmütze eines Breakdancers tritt auf der Bühne mit Videoscreens und Kabelgewirr gegen die Technik an, er unterliegt ihr und beherrscht sie gleichzeitig, spielt mit den Möglichkeiten, erfindet sich ständig neu. Schon in "Homo Ludens" - gezeigt beim Tanzkongress 2010 auf Kampnagel - deklinierte Siegal gedanklich sprunghaft und physisch frappierend flexibel die Formen sich aufspaltender Identität in einem wilden Puzzle aus Bild-, Text- und Tanz-Fragmenten durch.

Dem supersmarten Choreografen gelang es scheinbar mühelos, konzeptuelle Ansätze und seine fließende oder fragmentierte, eckige oder runde Bewegungssprache des Electro-Boogie-Body ohne Lähmung zu einer sinnlichen Performance zu verbinden.

Der in Paris lebende Amerikaner profilierte sich von 1997 bis 2004 als Tänzer in der Frankfurter Company von William Forsythe, dessen Schule und Training bis heute in seiner Arbeit und den Auftritten sichtbar sind. Doch der Bewegungsforscher hat auch seine eigene "If/Then"-Methodik entwickelt. Siegal demonstrierte sie mit Tänzerkollegen nicht nur in seinen "If"-Stücken, sondern gab auch ein Beispiel in der fünften Ausgabe der "Logobi"-Serie von Monika Gintersdorfer und Knut Klassen, die ebenfalls auf Kampnagel zu sehen war. Der weiße sehnige Siegal pflückte vom großen Zeh des schwarzen Muskelprotzes Franck Edmond Yao einen imaginären "Punkt", den er zwischen Daumen und Zeigefinger fixierte. Er schiebt ihn hin und her, was seinen Körper in Bewegung versetzt. Berührt den "Punkt" wendig mit der Schulter, der Nase und dehnt ihn aus zur Linie, die eine Struktur im Raum vorgibt.

Auf diese Struktur reagiert er und Franck Edmond Yao greift sie auf. Der interpretiert sie auf seine "westafrikanische Weise", wandelt sie ab, um dabei den Raum zu entdecken und sich zu öffnen; einen Raum, im dem Tanzrituale eigentlich keine wesentliche Rolle spielen. Der spielerisch humorvolle Exkurs und Dialog gab ein Beispiel für die globale Kunst des Tanzes und ihre global verständliche Kommunikationsform. Für "Logobi 05" erhielt Richard Siegal denn auch einen Faust-Preis 2010 in der Kategorie Tanz.

Für "As If Stranger" hat Siegal einen weiteren Partner geholt: Den Cellisten Wolfgang Zamastil. Der Musiker spielt in direktem Kontakt mit den Performern und dem elektronischen Soundtrack, spielt mit Händen und Füßen und entwickelt beim Bearbeiten seines Instruments eine skurrile Choreografie des Musizierens. In ihr spiegeln sich die grotesken Verrenkungen Siegals, der die Köperlinien immer wieder bricht mit der Biegsamkeit eines Blattes im Gegenwind.

As If Stranger Fr 10. u. 11.6., 21.00, Kampnagel (U Borgweg, Bus 172/173 Jarrestr.), Jarrestraße 20, Karten zu 12,-, erm.8,-, T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de , www.thebakery.org