Roger Rosenblatt erzählt in “An jedem neuen Morgen“ von einem Neuanfang. Ein Roman, mitten heraus aus dem Leben. Ein kleines, großes Buch.

Hamburg. Das Schicksal schert sich wenig um unsere Pläne, es macht uns einen Strich durch die Rechnung, wann immer es ihm beliebt. Diese Erfahrung macht der New Yorker Journalist Roger Rosenblatt, festgehalten hat er sie in seinem bemerkenswerten Buch "An jedem neuen Morgen". Eines schönen Tages nämlich, das Leben fühlt sich gerade so richtig an, fällt seine Tochter Amy mit 38 Jahren in ihrem Schlafzimmer tot vom Hometrainer. Herzinfarkt. Sie hinterlässt Mann und drei Kinder, sieben, fünf und drei Jahre alt.

Nun ist dies nur zweitrangig ein Roman übers Trauern, über den Verlust eines geliebten Menschen. Vor allem erzählt Rosenblatt die Geschichte eines Neuanfangs. Er und seine Frau werfen ihre Pläne für ein ruhiges Leben im Alter über den Haufen und ziehen zu Schwiegersohn und den Enkeln.

Tauschen Kreuzfahrten und den guten Wein vorm Kamin gegen ein Leben im Würgegriff proppenvoller Kinderterminkalender. Spielplatz, Hol- und Bringdienste, Sandmännchen und Zahnfee bestimmen nun den Alltag. Aus den Großeltern, die bislang fürs Verwöhnen und Heimlich-Süßigkeiten-Zustecken zuständig waren, sind Ersatzeltern geworden, die neu erlernen müssen, wie die Welt kleiner Kinder funktioniert. Lieblingswinterjacken, Frühstückstoast mit Butter und Zimt, aber bitte ohne Kruste ("Making Toast" heißt das Buch im Original) - das sind wichtige Informationen, die schon am frühen Morgen über heiße Tränen oder zufriedene Gesichter entscheiden.

Vertraut und fremd zugleich fühlt sich dieses neue Zuhause an, von dem Rosenblatt mit Pathos, Zärtlichkeit und leiser Trauer erzählt. Ein Zuhause, in dem man zusammen lacht, Schulaufführungen entgegenfiebert, Familienausflüge plant - und doch in jeder Sekunde Amy vermisst.

Amy, die als Assistenzärztin gearbeitet hat, aber am großartigsten in ihrer Lieblingsrolle war: als Mutter. "Wir werden nie darüber hinwegkommen, aber die Kinder schon", sagt Rosenblatts Frau einmal zu ihrem Mann. "Amy wäre wahrscheinlich stolz auf uns gewesen" ein anderes Mal. "An jedem neuen Morgen" wirft die Frage auf, wie viel von einem Menschen bleibt nach seinem Tod. Was sich wohl jeder schon einmal auszumalen versucht hat - wie geht das Leben meiner Familie weiter, wenn ich nicht mehr bin? -, schildert Rosenblatt anschaulich. Es sind die vermeintlich kleinen, beiläufigen Beobachtungen des Autors, die eine eigene Wucht entfalten: "Schweigend sitzen wir da und lesen, nur zwei Meter von der Stelle entfernt, wo Amy kollabierte und starb. Ab und zu sehe ich auf und widme mich dann wieder meiner Lektüre." Alltagsklugheit entspringt den Sätzen, die das Buch abhebt von Texten, die in Zeitschriften gern in der Rubrik "Schicksal" veröffentlicht werden.

Rosenblatt, der für das "Time Magazine" schreibt, findet für seine autobiografische Geschichte einen schmerzhaft-schönen Ton. Absurde kleine Momente wie das tägliche Frühstückszubereitungsritual wechseln sich ab mit dem Gefühl, wie falsch sich die Rolle als Ersatzvater anfühlt: "Eigentlich müsste Amy hier sitzen." So zeigt "An jedem neuen Morgen" Seite um Seite auf, wie nahe Trauer und Komik beieinanderliegen. Wie unabdingbar es ist, seine Pläne manchmal über den Haufen zu werfen und umzudenken. Und immer bewahrheitet sich in solchen Situationen die Erkenntnis: Etwas geht zu Ende, und etwas anderes beginnt. Roger Rosenblatt hat einen Roman geschrieben mitten heraus aus dem Leben. Ein kleines, großes Buch.

Roger Rosenblatt: An jedem neuen Morgen . Übers. v. Sky Nonhoff, Ullstein, 200 S., 16,99 Euro