Das Festival Heimspiel '11 präsentiert Beziehungstheater als Zerreißprobe - mit Inszenierungen von Corinna Sommerhäuser und Frank Abt.

Hamburg. "Papier ist geduldiger als ich", sagt der Mann zur Frau. "Schreib es einfach auf, ich will nicht mehr reden." Er ist Türke, sie ist Deutsche. Ein riesiger Haufen zerknüllten Papiers liegt jetzt zwischen den beiden auf der Studiobühne des Thalia in der Gaußstraße. Die Zettel symbolisieren die Notizen und Fetzen einer zerrissenen Paarbeziehung. Ging sie in die Brüche, weil die Partner aus verschiedenen Kulturen kommen? Oder weil sie als Frau und Mann einfach nicht harmonieren und unterschiedliche Vorstellungen von der Liebe haben?

Derlei Fragen verfolgen Regisseurin Corinna Sommerhäuser und ihr multikulturelles Ensemble in der Aufführung von Henriette Dushes Stück "Von sprachloser Liebe". Die Problematik bikultureller Beziehungen spiegelt auch Carsten Brandaus. "Wir sind nicht das Ende" beim deutsch-türkischen Theaterfestival ,Heimspiel '11' unter dem Dach der Altonale. Lösungen konnten die auf ihre Weise interessanten Produktionen nicht anbieten, doch sie öffnen den Blick, lassen hellhöriger für Klischees und Vorurteile werden.

Corinna Sommerhäuser holt Henriette Dushes realistische Beziehungsdialoge aus der Falle des psychologischen Theaters, indem sie diese als ein Spiel im Spiel inszeniert und um Interviewpassagen über bikulturelle Partnerschaften erweitert. Jeden Abend mischt der Chor durch Loseziehen die Szenenfolge neu, was den Hauptdarstellern Nora Decker und Ercan Altun Improvisationsbereitschaft und Geistesgegenwart abverlangt. Trotz ihrer spielerischen Präsenz und Direktheit können sie Distanz und Reportageduktus von Sommerhäusers Versuchsanordnung nur in wenigen emotional intensiveren Momenten vergessen lassen.

Frank Abt geht den umgekehrten Weg: Er schafft in seiner Inszenierung von Carsten Brandaus "Wir sind nicht das Ende" sofort Identifikation mit der Frau und ihrer Liebesgeschichte zum Terroristen Ziad Jarrah aus der "Hamburger Zelle", der am 9. September 2001 das Flugzeug über Pennsylvania abstürzen ließ. Stephanie Schadeweg verleiht Aishes immerfort um das Unbegreifliche und Nichtgewusste kreisenden Gedanken einen unsentimentalen Gefühlsausdruck. Sie zeigt humorvoll die erotische Faszination und zugleich einen verzweifelten Selbsterhaltungswillen im Schwanken zwischen Zweifel und Liebe. Diese Frau ist nicht bereit, sich und ihre Pläne für einen rätselhaft verschwindenden und wieder auftauchenden Mann (Jörg Kleemann) ganz aufzugeben. Die in Deutschland aufgewachsene Türkin will sich den Glaubens- und Lebensvorstellungen eines fanatischen Muslims aus dem Libanon nicht mehr unterwerfen.

Die wahre Geschichte in Carsten Brandaus poetisch vieldeutiger Verfremdung und Abts feinfühlig leichthändiger Regie berührte mehr als Sommerhäusers auf Fakten basierender formalistischer Papierkrieg.

Wir sind nicht das Ende 10.-12.6., 20.00, On-Off Cel 13, Celsiusweg 13;

Von sprachloser Liebe 8./ 9.6., 20.00, On-Off Cel 13, Celsiusweg 13 und 17./ 18.6., 20.00, Tiyatro Istasyon, Hospitalstraße 111, für alle Vorstellungen Karten unter T. 39 80 69 70; www.altonale.de