Oberammergau-Regisseur Christian Stückl bringt Hans Pfitzners Oper “Palestrina“ auf die Bühne - in grellen Farben

Staatsoper. Hans Pfitzners Künstlerdrama "Palestrina" hat es auf heutigen Spielplänen nicht leicht. Zu versponnen ist das 1917 in München uraufgeführte Werk, das sich um eine Schaffenskrise des Komponisten Palestrina dreht, um eine - historisch nicht belegbare - Diskussion auf dem Konzil von Trient im Jahr 1563, das angeblich neumodische, vielstimmige Kirchenmusik verbieten wollte, und um die Inspiration des Künstlers, der ein Werk schafft, das die Kardinäle und den Papst umstimmt. Individuum gegen kirchliche Macht, Künstler gegen Ignoranz.

Das Werk, das an Wagners "Meistersinger" anknüpft, fordert das ganze Opernhaus. "Wir hatten bei der Sitzprobe allein 17 Stühle für die Solisten", sagt Intendantin Simone Young. Die Opernchefin ist vor allem von der "wunderschönen, meisterhaften Orchestrierung" begeistert, die den "spätdeutschen Romantizismus" voll auskoste. Die Musik bleibt tonal, und sie sucht in Kirchentonarten alte, neue Wege. 1917 hatten Neutöner wie Arnold Schönberg etwa mit "Pierrot lunaire" (1912) und Strawinsky mit seinem "Sacre du printemps" (1913) schon Türen zu unerhörten neuen Klangwelten aufgestoßen.

"Die Handlung ist ganz schön krud, wenn man sie zum ersten Mal anschaut", sagt der Oberammergauer Passionsspiel-Regisseur Christian Stückl mit Blick auf die Entstehung der Koproduktion mit München 2009 und jetzt in Hamburg. "Ich hab das Libretto gelesen und mich gefragt: Was is denn des jetzt? Was hat man heut damit zu tun?" Stückl, von dem Jürgen Flimm sagt, er sei Fachmann fürs Katholische, profitierte von seinem Verhältnis zur Kirche: "Da ist Nähe - ich weiß, wie man den Weihrauch schwingen muss. Da ist aber auch große Distanz."

Für Simone Young "ist es ein Künstlerdrama, das sehr in seine Zeit gehört; es fragt am Ende des Ersten Weltkriegs: Was kann ein Künstler bewirken in der politischen Welt? Die Antwort ist sehr pessimistisch." Stückl assistiert: "Pfitzner übt starke Kritik an Kirche und Staat wegen ihrer Unterdrückung und Regulierung. Palestrina demonstriert: Ihr verlangt jederzeit Kreativität - und seid selbst nicht fähig zu einer Einigung der Kirche."

Hans Pfitzner hat sich später gnadenlos bei den Nationalsozialisten angebiedert, die jedoch wenig mit seiner Kunst anfangen konnten. Muss man also ausgerechnet diese Oper spielen - würde nicht vielleicht "Die tote Stadt" des von den Nazis vertriebenen Komponisten Erich Wolfgang Korngold, uraufgeführt 1920 in Hamburg, besser hierherpassen? "Würde ich jede Oper auf ihre politische Korrektheit hin betrachten, könnte ich keine ,Zauberflöte' dirigieren, keine Oper des 19. Jahrhunderts - die sind alle frauenfeindlich. Ich könnte keinen Wagner, keinen Richard Strauss machen. Dann müsste man auch seine Schallplattenregale bereinigen von der Arbeit verschiedener Kollegen", sagt Simone Young, die gleichzeitig verrät, dass sie "Die tote Stadt" auf die Bühne bringen will, in drei Jahren.

Welchen Zugang hat Stückl am Ende gefunden zu "Palestrina"? "Man muss viel Augenzwinkern mitbringen, sonst erstickt man im zweiten Akt beim Konzil von Trient. Als Schauspielregisseur schaut man genau auf den Text, und da stecken viele Geschichten drin, die man optisch umsetzen und vergrößern kann." Young argumentiert von der Musik her: "Es steckt auch viel Parodistisches, Karikierendes in der Musik. Die extremen Farben auf der Bühne machen es mir leicht, genauso mit den Farben in der Musik umzugehen."

Außer Falk Struckmann ist kein Sänger aus den Münchner Aufführungen dabei. Eine Chance, sagt Stückl, sich vieles noch einmal neu anzuschauen. "Da verschieben sich Rollengewichte noch mal durch die neuen Sänger." Simone Young gibt ein Beispiel: "Unser Hamburger Palestrina ist ein ganz anderer Typ. Christopher Ventris in München ist ein wunderbarer Sänger mit einem sehr weichen Timbre und einer Stimme mit viel Fülle. Bei uns singt Roberto Saccà, ein großer Darsteller, seine Stimme ist lyrischer. Er hat ein nuanciertes Textgefühl und eine sehr lebendige Bühnenpräsenz. Die Hamburger Aufführung wird schärfer gezeichnet."

Stückl und Young haben sich bei dieser Inszenierung so gut verstanden, dass Young den Urbayern gleich noch einmal engagiert hat: Im nächsten Jahr inszeniert er an der Dammtorstraße Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos".

Palestrina von Hans Pfitzner, 17.00 Hamburgische Staatsoper, Dammtorstraße 28 (U Stephansplatz/U Gänsemarkt). Weitere Vorstellungen: 8., 13. und 16.6., jeweils 18.00, Karten: Premiere 6 bis 158, sonst 4 bis 79 Euro