Udo Lindenberg ließ das Mikro wirbeln und probte vier Stunden für sein “MTV Unplugged“-Konzert auf Kampnagel - und 800 Fans schwitzen mit.

Hamburg. Der Gastauftritt der Ostrockband Silly muss wiederholt werden, eine Kamera hat Probleme gemacht. Es ist kurz nach elf am Donnerstagabend, die Halle auf Kampnagel ist rappelvoll, und die Lüftung hat schon vor Stunden ihren Geist aufgegeben. Doch das Ende der Generalprobe für Udo Lindenbergs "MTV Unplugged"-Konzert will sich kaum einer entgehen lassen, der noch eine Karte ergattert hat, 800 Menschen haben es geschafft. Anna Loos und der Rest der Band kommen gehorsam wieder auf die Bühne, Udo wechselt das Jackett. Und dann spielen sie noch einmal "Was hat die Zeit mit uns gemacht".

Es sind Szenen wie diese, die einem ins Gedächtnis rufen, dass hier nicht einfach ein Konzert abläuft, sondern die Vorbereitung zu einer Fernsehshow. Obwohl man das auch sonst nur schwer vergessen könnte: Überall stehen Kameras, und in den Anzug laminierte Security-Schränke haben ein strenges Auge darauf, dass niemand seine eigene Version des Events dreht.

"Das ist eine mysteriöse Branche, diese Musikbranche." Udo muss es wissen. Schließlich hat er seine erste Platte vor inzwischen 40 Jahren herausgebracht. Da war er Mitte 20 und stand am Beginn einer Karriere, deren Verlauf er vermutlich nicht einmal in seinen kühnsten Eierlikör-Visionen hätte voraussehen können. Zweieinhalb Wochen nach seinem 65. Geburtstag erhält er nach Echo, Bundesverdienstkreuz und diversen anderen Pokalen und Medaillen die nächste Auszeichnung.

Die legendäre Konzert-Reihe "MTV Unplugged" hat dem Panik-Präsidenten den Stecker gezogen. Udo bekommt zwar keinen Strom. Zum Ausgleich kriegt er eine Extraportion von allem anderen.

Nicht nur, dass die Bühnenbildner Lindenberg auf Kampnagel das heimatliche Atlantic-Hotel samt Rezeptionstresen, Drehtür und - natürlich - einer Bar nachgebaut haben. Auch die Besetzung fällt ein wenig größer aus: Zum Sextett seiner Band stoßen ein Perkussionist, ein Bläser-Trio und ein zwölfköpfiges Streicherensemble. Das preist Lindenberg als Leihgabe der Hamburgischen Staatsoper an, doch da hat er auf seiner "kleinen Reise zwischen Dichtung und Wahrheit" einen Zwischenstopp an den Gestaden der künstlerischen Freiheit gemacht. Wo immer die Damen und Herren aber auch herkommen: Violinen, Bratschen und Celli sorgen für ein Maß an musikalischer Gravitas, das gerade den langsamen Stücken wie "Ich lieb' dich überhaupt nicht mehr" gut zu Gesicht steht. Komplettiert durch den vierköpfigen Backgroundchor, der Lindenbergs Organ etwas mehr melodiösen Bumms verleiht, kann sich Lindenbergs Ausflug in die große Instrumentierung hören lassen.

Zumal er zwar der unangefochtene Star des Abends, aber beileibe nicht die einzige Berühmtheit auf der Bühne ist: Die Liste bekannter Köpfe, die durch die Drehtür kommen, um einzelnen Songs ihren Stempel aufzudrücken, ist lang: Unter anderem steigt Stefan Raab für "Johnny Controlletti" und die "Honky Tonky Show" hinters Schlagzeug, Jan Delay näselt sich mit Udo zusammen über die "Reeperbahn", Clueso preist stimmgewaltig das "Cello". Mit Inga Humpe knutscht er sich durch "Ein Herz kann man nicht reparieren". Überhaupt ist Lindenberg sehr nach Herzen und Drücken: Max Herre kann sich dem genauso wenig entziehen wie Alina von Frida Gold, Steffi Stephan und Carola Kretschmer, die beiden alten Mitstreiter, die stellvertretend für die Vielzahl der ehemaligen Panik-Orchestermitglieder stehen.

"Meine Füße müssen weiter, aber mein Herz bleibt hier." Vier Stunden sind vergangen, Udo Lindenberg hat gesungen, das Mikrofon wirbeln lassen und Eierlikör im Publikum verteilt. Mit einer A-cappella-Tanzeinlage und einem letzten Bad in der sich langsam lichtenden Menge verabschiedet er sich. Der Theateraberglaube, dass eine verhunzte Generalprobe eine perfekte Premiere garantiert, dürfte ihm egal sein. Schließlich gelten für Udo andere Regeln: "Bin ja selber so ne Art E.T."

Und Außerirdische dürfen sich schon bei der Generalprobe stürmisch feiern lassen.