Das erste türkisch-deutsche Theaterfestival “Heimspiel '11“ startet heute. Es ist eine facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Thema Migration

Thalia Gaußstraße. Kälte zieht durch die Ritzen der ehemaligen Maschinenfabrik im Bahrenfelder Celsiusweg. Aufmarsch der Darsteller mit bunt gestreiften Brillen. "Was an deinem Leben ist getürkt?", "Was vereint und was trennt?", "Wo kommst du her? Kommst du noch klar?" "Kennst du dein binationales Konfliktpotenzial?" "Bist du Innensteher, Türsteher oder Außensteher?" "Bist du in oder out?"

So prasseln die Fragen der Gruppe auf das deutsch-türkische Versuchspaar (gespielt von Ercan Altun und Nora Decker) nieder und ergießen sich als Zettelhaufen aus Beipackzetteln, Gebrauchsanweisungen, Mahnungen, Bekenntnissen, Briefen und Fetzen des Lebens auf die Bühne. "Weißt du eigentlich, dass du ein Problem hast?"

Das ist wohl die eindringlichste Frage dieses Stücks der Autorin Henriette Dushe, das "Von sprachloser Liebe" handelt. Von der Liebe eines Paares, das an ihr scheitern wird wie so viele Paare. Sie will immer, dass er etwas erzählt, doch ihm ist erst das Gerede und bald auch die Liebe zu viel.

Die Inszenierung von Regisseurin Corinna Sommerhäuser ist Teil des heute unter dem Dach der Altonale startenden ersten türkisch-deutschen Theaterfestivals "Heimspiel '11", kuratiert von Tanja Lauenburg. Das Stadtteilfestival ist traditionell nachbarschaftlich ausgerichtet und hat sowohl türkischsprachige Inszenierungen mit Folklore-Anteilen ins Programm gehoben als auch Aufführungen mit gesellschaftspolitischem Fokus. Mehr als 80 Künstler wirken mit. Damit ist die Altonale wieder einmal am Puls der Zeit, denn Migration ist derzeit der Theaterbühnen liebstes Thema.

Ein soziologisches Interesse treibt auch Corinna Sommerhäuser um. Die Regisseurin, Jahrgang 1976, hat lange Jahre als feste Regieassistentin am Thalia-Theater mit Größen wie Stephan Kimmig und Andreas Kriegenburg gearbeitet. Für "Von sprachloser Liebe" hat sie Interviews mit acht Migranten der ersten bis dritten Generation geführt und sie zu ihren Beziehungen gefragt. "Dabei hat sich gezeigt, dass man Liebe nicht beschreibbar machen kann", sagt Sommerhäuser. "Bei einer großen Liebe gibt es keine Distanz aufgrund von unterschiedlichen Kulturen." Die Aussagen der Migranten flossen in die Fragen mit ein, die das Stück rahmen und durchdringen. "Wir dachten häufig, das ist jetzt typisch deutsch, obwohl wir wussten, dass es nie so gemeint war", sagt Sommerhäuser.

Der Abend illustriert die Schwierigkeit kultureller Einschreibungen und die Widerstandskraft von Klischees. "Auf der Bühne steht ein zeitloses, nationsloses und nicht weiter typisiertes Paar", sagt Corinna Sommerhäuser. "Jeder Zuschauer gibt der Geschichte seine eigene Bedeutung."

Ebenfalls empfehlenswert ist die Eröffnungspremiere "Tag für Tag - Yalanci Dünya" (3.6., 20.00, 22.30, Thalia in der Gaußstraße) von Ayhan Sönmez, ein Gastspiel des allseits gefeierten Ballhauses Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg. Ein Mann sieht darin nur noch Verlogenheit in der Welt und ihren Geschichten. Mit der persönlichen Dimension des Terrorismus hat sich Regisseur Frank Abt beschäftigt. Und "Wir sind nicht das Ende" (5.6., 20.30, Thalia in der Gaußstraße; 10. bis 12.6., 20.00, On-Off Cel 13) von Carsten Brandau erzählt die wahre Geschichte eines jungen Paares. Die Deutsch-Türkin ahnt nicht, dass ihr Freund, ein Libanese, eines Tages ein Flugzeug zum Absturz bringen wird. Ergänzt wird "Heimspiel '11" von Diskussionen, Musik - und sonntäglichem Grillen.

Heimspiel '11: 3. bis 18.6., Thalia in der Gaußstraße (S Altona), Gaußstraße 190, T. 32 81 44 44, On-Off Cel 13 (S Altona, Bus 2), Celsiusweg 13, T. 39 80 69 70, Tiyatro Istayon (Bus 115), Hospitalstraße 111, T. 39 80 69 70, Karten 15,- bis 20,-/erm. 9,-; www.altonale.de