Ein Unplugged-Konzert ist die Stunde wahrer Größe

Für die einen ist ein Unplugged-Konzert nur das halbe und damit ein schales Vergnügen. Ein Rockkonzert ohne Hall, Echo, Wah Wah und Wow. Ohne Ekstase und entfesseltes Gliederschleudern. Das soll ein Konzerterlebnis sein? Jawohl. Ein Intimes, nach innen gewandtes, bei dem alle Automatismen der Performance ausgeblendet werden und das Spartanische, Nackte neue Emotionen freisetzt. Statt überdimensionierter Mehrzweckhalle ist entspannter Klub angesagt. Statt Stehplatz bequemes Stuhlsitzen. In dieser Kulisse vermochten immerhin einige der größten Rampensäue des Pop ihre Anhängerschaft noch einmal völlig neu zu durchdringen.

Als Erfinder der Unplugged-Session gilt der Fernsehsender MTV, auf dem inzwischen nur noch gegen Bezahlung musiziert wird. Die Musiker von Bon Jovi griffen 1989 bei den MTV Video Music Awards erstmals zur Klampfe und verzichteten auf elektronische Instrumente. 1992 ließ Eric Clapton eine erste offizielle MTV-Unplugged-Session filmen. Damals gab es wohl niemanden, dem diese zärtliche Version von "Layla" und das markerschütternd traurige "Tears in Heaven" nicht als Dauerohrwurm durchs Hirn spukten.

Nirvana folgte nach und brachte das Ergebnis sogar als Album heraus. Kurt Cobain griff zur Akustikgitarre, allerdings auch zum Pick-up, weshalb bis heute umstritten ist, ob es sich nun um ein echtes Unplugged-Konzert handelt oder nicht. "Können wir weitermachen? Wir sind schon eine Stunde zu spät dran", murmelt er entnervt auf dem Filmmaterial. Das klang so wunderbar authentisch und ungekünstelt. Der Rockstar schrumpfte zum gewöhnlichen Musiker zusammen, der ganz einfach mal seinen Einsatz und die richtige Stimmlage treffen musste. Statt wie üblich in einem perfekt arrangierten Soundwald zu stehen, stur auf die Technik zu vertrauen und keine Steinschläge fürchten zu müssen.

Nach dem Erfolg der ersten Sessions kappten auf einmal alle ihre Kabel. Rock-Combos wie Kiss oder Korn, R'n'B-Helden wie Lauryn Hill oder Erykah Badu, Pop-Interpreten wie Ricky Martin oder Katy Perry. Natürlich war vieles verzichtbar. Es wurde auch weiterhin viel gemogelt. Nicht alle Auftritte sind wirklich in Erinnerung geblieben. Und das liegt ganz einfach daran, dass bei einem Unplugged-Konzert unbarmherzig die Qualität eines Songs zutage tritt. Unvergessen ist der lässig auf einem Barhocker wippende George Michael, die Grandezza, mit der er den Wham-Klassiker "Everything She Wants" swingt, umrahmt von einem Spalier aus (sitzenden!) Background-Sängerinnen und -Sängern, Streichern und Bläsern. Hier löste sich das Versprechen des Unplugged-Spiels ein, einen völlig neuen Song zu hören.

Deutschsprachige Künstler haben sich bald eingereiht in das Heer der Ausstöpselnden. Allerdings geriet der Auftritt der Sportfreunde Stiller eher zum müßigen Kaffeekränzchen. Bei den Toten Hosen musste als Rahmen gleich das Wiener Burgtheater herhalten, das die Band unter der provokanten Überschrift "Nur zu Besuch:" beschallte. Selbst Hip-Hop-Raubein Sido probierte es aus. Über das Ergebnis lässt sich streiten, zumindest behauptet der Sänger, seither auf der Straße mit mehr Respekt behandelt zu werden.

Mehr Respekt muss sich Panik-Rocker Udo Lindenberg schon lange nicht mehr verschaffen. Wenn er an diesem Freitag zur längst ausverkauften stromlosen Session auf Kampnagel lädt, hat er schon drei Warm-up-Shows und eine Fernsehaufzeichnung hinter sich. Die Karten gingen in wenigen Minuten weg. Fans erwarben sie direkt aus der Hand von Udo-Leibwache Eddy Kante im Hotel Atlantic. Denn eines gehört zum Unplugged-Feeling unbedingt dazu. Das Gefühl, einem exklusiven Klub von Auserwählten anzugehören, die die Kraft des Puren hoch schätzen.