Mit einer aufsehenerregenden Plakatkampagne kämpfen Künstler und Bewohner St. Paulis gegen zu hohe Mieten und Verdrängung.

Hamburg. Die Menschen auf den Plakaten blicken freundlich, zumindest die allermeisten von ihnen, manche Gesichter sind sogar ausgesprochen fröhlich. Ab morgen werden sie auf St. Pauli an jeder Ecke zu sehen sein. Katja Eichbaum zum Beispiel, die Grafikerin und Fotografin, fordert: "Weg frei für eine Genossenschaft - für richtig gute Stimmung im Portemonnaie." Die Performancekünstlerinnen Paula und Pauline sind etwas zupackender: "Auch überteuerte Wohnungen lassen sich besetzen", stellen sie mit verschränkten Armen vor der Brust fest. Und die Verlegerin Hanna Mittelstädt hält mit ihrer Auffassung ebenfalls nicht hinter dem Berg: "NoBNQ - das ist doch die kreative Stadt von unten! Das darf sich eine Stadt nicht entgehen lassen!"

Es geht in dieser groß angelegten Plakatkampagne um das Bernhard-Nocht-Quartier auf St. Pauli, genauer: um die Pläne mit diesem Viertel. Die wurden in den vergangenen Jahren in durchaus größerer Zahl auf den Tisch gelegt. Ein Investor nach dem anderen wollte im Boom-Stadtteil an der Elbe Eigentumswohnungen errichten. Anspruchsvolle Immobilien sind zuletzt viele auf dem Kiez hochgezogen worden: das Empire-Riverside-Hotel, der Astraturm, das Bavariaquartier. Die Mieten auf St. Pauli steigen seit Jahren.

Der einst verrufene Stadtteil ist längst nicht mehr nur frivoles Amüsierviertel, sondern geldwerter Zukunftstraum von Investoren und Stadtentwicklern. Weshalb die Anwohnerinitiative NoBNQ nicht aufhört zu kämpfen: Eigentumswohnungen in ihrer Straße haben sie schon mal verhindert, die Investoren haben eine Mietpreisbindung akzeptiert. Mittlerweile gibt es auch eine bauliche Erhaltensverordnung, die das Quartier architektonisch erhalten soll. Außerdem ist eine soziale Erhaltensverordnung geplant, die Luxussanierungen verhindern soll.

Außerdem hat die Initiative ein Konzept, das "Freundliche Übernahme" heißt und die Vorstellung vom genossenschaftlich und nachbarschaftlich organisierten Wohnen in den Mittelpunkt rückt. Erdacht wurde es von NoBNQ, "doch leider hat sich die Politik bislang recht wenig für das Konzept interessiert", sagt Christoph Schäfer, der Künstler ist und einer der Initiatoren. Das soll sich nun ändern. 1800 Plakate mit Anwohnern und Künstlern werden in Kneipen, S-Bahn-Stationen, Apotheken und "an jeder Straßenecke zu sehen sein", wie Margit Czenki von NoBNQ erklärt. In Szene gesetzt wurden die St. Paulianer von dem Fotografen Frank Egel, orientiert hat er sich an der Reklame der "Bild"-Zeitung. Nach deren Vorbild wird nun nicht "Ihre Meinung zu Bild?" abgefragt, sondern "Ihre Meinung zum Bernhard-Nocht-Quartier?" - eine einfache und geniale Vorgehensweise, die einprägsame Slogans zeitigt.

Zunächst auf St. Pauli und in der Schanze, später vielleicht auch in anderen Stadtteilen werben ab morgen Intellektuelle, Künstler und Kreative wie Musiker und Regisseur Schorsch Kamerun ("Eine aufgeladene Prepaid-Card ersetzt keine rausgedrängte Nachbarschaft!") und Architektur-Professor Bernd Kniess ("Möglichkeitsräume statt Problemzonen: für die lernende Stadt") für ein alternatives und von Anwohnern organisiertes Quartier.

Das Gesprächsangebot an die Stadt steht weiterhin, sagt Christoph Schäfer. "Obwohl wir mit unserer Initiative schon viel erreicht haben, wollen wir unsere Ideen immer noch durchsetzen." Den Stadtteil weiß NoBNQ dabei hinter sich: Klinken putzen mussten die Idealisten vom Kiez, die neuerdings auch Werbeprofis sind, jedenfalls nicht. Die Kampagne wird von Menschen unterstützt, die recht repräsentativ für St. Pauli sind und dem Stadtteil genau das wiedererkennbare Gesicht geben, das ihn speziell macht. Klubbetreiber und Boutiquebesitzer sind dabei, Unternehmer und Hoteliers, eine Bewohnerin, die sich "Ideenmanagerin" nennt, und auch ein Pastor.

NoBNQ will den Diskurs im Stadtteil weiter befeuern. Zurzeit kommen zu den Treffen der Anwohner immer noch regelmäßig 40 Leute: Sie sind hartnäckig auf St. Pauli. "Der Appell an die Politik, uns ernst zu nehmen, ist genauso wichtig wie unsere Sichtbarkeit für alle Hamburger", sagt Margit Czenki. Die provokativen Statements auf den Plakaten spiegeln das Selbstbewusstsein der Initiative.

Die Angst vor "Aufwertung" und "Verdrängung", beides Schlüsselbegriffe moderner Häuserkämpfer, die sich gegen Gentrifizierung wehren, haben die St. Paulianer umgemünzt in einen, wie sie finden, produktiven Vorschlag, dessen Umsetzung eine soziale "Ressource" für den Stadtteil bereitstellt: Wohnen, Bildung und Gewerbe sollen gemeinsam organisiert werden. Es soll nicht um Gewinne gehen, sondern die Sicherung von billigem Wohnraum und sozialem Miteinander. "Das integrierte Konzept nutzt die kommunikativen und kooperativen Fähigkeiten und den Erfindungsreichtum der auf St. Pauli beheimateten Subkulturen. Wir wollen vielfältige Lebensformen, wir wollen kulturelle Treffpunkte", sagt Schäfer.