Mit “Wasser für die Elefanten“ lässt Regisseur Francis Lawrence den Zirkusfilm aufleben - und bietet Christoph Waltz eine großartige Bühne

Dieses Frühjahr ist offensichtlich geprägt vom Aufruhr um angemaßte akademische Titel. Kaum ist das Guttenberg-Trauerspiel vom Spielplan verschwunden, zieht Hollywood mit einem eigenen Doktoranden-Drama nach. Die Beteiligten an dem Film "Wasser für die Elefanten", der heute in die Kinos kommt, sind August (der gar nicht dumme Herr einer Zirkuswelt), des Direktors Frau Marlena (eine blonde Kunstreiterin) sowie Jacob (der gerade als Veterinär engagiert wurde). Im Salonwagon kommt es zum Krisengipfel.

"Jacob: Ich muss Ihnen etwas beichten. Ich weiß nicht, ob Sie mir danach noch vertrauen werden ... Ich bin kein richtiger Tierarzt. Ich hab keinen akademischen Grad ...

August: Jacob, glaubst du, die tätowierte Frau hat Tätowierungen von Kopfjägern in Borneo?

Marlena: Sie ist aus Pittsburgh. Neun Jahre hat sie ihre Haut bemalt. Erzähl ihm von unserem Flusspferd, Darling.

August: Als es dahinschied, haben wir das Wasser durch Formaldehyd ersetzt und es weiter gezeigt. Zwei Wochen lang - ein eingemachtes Flusspferd!

Marlena und Jacob lachen.

August: Jacob! In der Welt geht's um Tricks. Jedermann spielt! Du musst eins lernen, mein lieber Junge, die Regeln dieser Vereinigten Staaten von Trotteln sind für uns bedeutungslos. Auf das Talent und die Illusion!"

Der Zirkusdirektor hat also keinen Akademiker eingestellt, sondern einen fähigen Tierflüsterer. Jacob erkennt mit einem Blick, dass der lahmende Schimmel von Marlena nicht mehr zu retten ist, und setzt postwendend den Gnadenschuss.

Jedoch, so wie keiner an das Ende der Guttenberg-Saga glaubt, beginnt die Dreiecksgeschichte in "Wasser für die Elefanten" hier erst richtig: Der über Leichen gehende Machtmensch August (Christoph Waltz in einer Variation seines SS-Offiziers aus "Inglourious Basterds") registriert sehr wohl die wachsende Anziehung zwischen Jacob (Robert Pattinson, "Twilight"-geübte schmachtende Blicke auf die Angebetete werfend) und Marlena (Reese Witherspoon, mit dem Besteigen und Herunterklettern von Elefanten darstellerisch klar unterfordert).

Je stärker sich das Dreieck unterm Chapiteau zuspitzt, desto mehr wächst das Staunen darüber, wie unfassbar altmodisch dieser Film ist. Das ist gar nicht abwertend gemeint, bloß nüchtern feststellend. Das Genre "Zirkusfilm" ist seit Ende der 60er-Jahre nahezu ausgestorben, seitdem entstehen weltweit noch ein gutes Dutzend pro Jahrzehnt, aber das sind meist Meta-Filme wie Alexander Kluges "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" oder Béla Tarrs "Die werckmeisterschen Harmonien" - vorbildlich nachzulesen in Matthias Christens jüngst erschienener Genre-Analyse "Der Zirkusfilm" (Schüren, Marburg, 24,90 Euro).

Nein, um einen den "Elefanten" vergleichbaren Film zu finden, müsste man ein halbes Jahrhundert weit zurückschauen, auf "Trapez" zum Beispiel, worin sich Gina Lollobrigida zwischen Burt Lancaster und Tony Curtis drängt, oder noch weiter auf "Die drei Codonas", in dem zwei Frauen drei verschworene Artisten ins Unglück stürzen. Beide Male spielt der berühmteste amerikanische Zirkus Ringling Bros. eine entscheidende Rolle, und auch in "Wasser für die Elefanten" sind die Ringlings präsent, wenn auch nur als der hassgeliebte Rivale.

"Wasser" ist dementsprechend nostalgisch angelegt, angesiedelt in der amerikanischen Prohibition und Depression, einer Zeit, in der viele ums nackte Überleben kämpften. Und in der Darstellung des Fressen-oder-gefressen-Werdens unterscheidet sich die Verfilmung von Sara Gruens Bestseller doch von ihren Genre-Vorbildern.

Christoph Waltz wirft das Fleisch des auf die ewigen Koppeln geschickten Schimmels den Löwen zum Fraße vor und lässt überflüssige Mitarbeiter durch seine Schlägertruppe nachts vom fahrenden Zug werfen. Ständig ist von pleitegegangenen Zirkussen die Rede, die von der Konkurrenz auf der Suche nach guten Artisten ausgeweidet werden, und ständig ist auch Augusts Unternehmen vom Verzehr bedroht.

Allerdings wird man das Gefühl nicht los, dieses Halsabschneidergemälde werde vor allem gemalt, um Christoph Waltz ein passendes Ambiente zu liefern. Wie bei seinem Hollywood-Debüt "The Green Hornet" steht er nur auf Platz drei der Besetzungsliste, gibt aber die gefühlte Zentralfigur. Es ist in hohem Grade erstaunlich, welche Starauftritte ihm Regisseur Francis Lawrence einräumt, von seiner ersten Szene an, bei der man zunächst nur seinen Hinterkopf sieht, er mit seiner Stimme aber bereits den Raum beherrscht - bis er dann geruht, sich in die Kamera zu drehen.

Waltz' Figur, charmant und jähzornig, berechnend und unberechenbar, gar kein gütiger Patriarch, hätte es im klassischen Zirkusfilm nicht gegeben. Während die Atmosphäre, die Nebenfiguren und der Plot treu den 50ern entliehen scheinen, ist August in seiner Radikalität und Amoralität ein Geschöpf der Gegenwart. Er ist das Identifikationsangebot an das heutige Publikum, das sich sonst in diesem Artistenkosmos ziemlich verloren fühlen dürfte.

Es gibt noch eine zweite Klammer, den steinalten Jacob, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später an die dramatischen Geschehnisse erinnert und in der schönsten Wendung des Films beschließt, statt zurück ins Altersheim lieber mit einem heutigen Wanderzirkus auf die Walz zu gehen - ein Verweis auf die große Tradition des Zirkusfilms, andere Lebensweisen als die bürgerliche vorzuführen.

Es wird spannend, ob sich Christoph Waltz auf die "böse, aber ..."-Rollen festlegen lässt. In den "Inglourious Basterds" war er böse, aber cool; in "The Greet Hornet" böse, aber nicht cool. "Wasser für die Elefanten" präsentiert ihn als böse, aber verletzlich, und sein Kardinal Richelieu in den kommenden "Drei Musketieren" dünkt uns böse, aber souverän. Waltz muss lernen, dass die trotteligen Regeln des Typenkinos auch für große Talente wie ihn nicht bedeutungslos sind. Wirklich spannend, weil unberechenbar wird erst der Waltz-Auftritt in der Yasmin-Reza-Verfilmung "Gott des Gemetzels", die unter Roman Polanskis Regie entsteht.

www.wasser-fuer-die-elefanten.de