Wahrscheinlich ist es mein Vater, auf den der Brauch des in den Mai Tanzens zurückgeht. Denn Vater tanzte gern, und früher tanzten wir in jeden Monat, manchmal sogar in jeden Tag.

Vater konnte nachts an unser Bett kommen und uns wecken, damit wir mit ihm tanzten. Walzer, Foxtrott, aber vor allem waren es die südamerikanischen Tänze, die es ihm angetan hatten. Mambo, Samba, und so wirbelten wir nachts durch das Zimmer, nur begleitet vom Quietschen unserer klebrigen Fußsohlen und dem Knacken von Vaters Zehen.

Im wahren Leben tanzte Vater nur wenig. Er arbeitete in einem Betrieb für Hanseatenbedarf, und dort war kaum Platz fürs Tanzen, höchstens auf Betriebsfesten, und so tanzte Vater mit uns oder allein in der Garage, denn Mutter mochte vieles, nur tanzen nicht.

Vater hatte Stepptanz studiert und eine Zeit lang bei einem Merenguestamm in Guatemala gelebt. Auf dem Rückflug habe er Mutter kennengelernt, etwas später ihr uns Kinder gemacht.

Wehrten wir uns und baten, er möge uns schlafen lassen, sagte Vater, wir wären schließlich schuld daran, dass er nicht tanze, sondern ständig in diesem verdammten Büro sitzen müsse - also tanzten wir mit ihm. Summten leise Latinolieder. Doch irgendwann dann interessierten wir uns mehr für Mädchen als für Vater, schlossen nachts die Zimmer ab, damit Vater nicht kam, um uns aufzufordern. Vaterwahl, wie er das nannte.

Statt zu tanzen sah Vater nun in kurzen, weißen Hosen Tennis, und alles schien gut, anfangs, das Tanzen überwunden - bis wir Vater dann eines Morgens mit Shakira tanzen sahen, einer frauengroßen Puppe, die er sich auf die Schuhe geklebt hatte. Shakira war halb Mutter, halb Stoffrest und der Grund, warum wir wieder mit Vater tanzten.

Auch heute noch, wo es Vater reicht, einmal im Jahr mit uns zu tanzen - immer in den Mai.