Regisseur Kenneth Branagh über die Arbeit an “Thor“ und Shakespeare

Der britische Schauspieler Kenneth Branagh hat sich als Regisseur vor allem durch seine Shakespeare-Verfilmungen von "Henry V", "Viel Lärm um Nichts" oder "Hamlet" einen Namen gemacht. Zuletzt war von ihm das Krimikammerspiel "1 Mord für 2" in den deutschen Kinos zu sehen. Nun reist Branagh ans andere Ende des Kinouniversums und verfilmt den Comic "Thor" (siehe rechts) aus dem "Marvel"-Verlag, der schon die Vorlagen zu Blockbustern wie "Spider-Man", "X-Men" oder "Iron Man" lieferte.

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Was hat Sie als ausgewiesener Shakespeare-Regisseur an diesem Superhelden-Film interessiert?

Kenneth Branagh:

Der "Marvel"-Verlag hat mit seinen Comics ein eigenes Universum geschaffen, in dem die verschiedenen Figuren durch gegenseitige Referenzen miteinander verbunden sind. Das ist ein sehr ungewöhnlicher und äußerst interessanter Kosmos, in den man sich da hineinbegibt. Aber dennoch hat mich an diesem Projekt nur diese eine Geschichte und diese eine Figur interessiert. Ich hatte und habe für meine Karriere keine größeren strategischen Pläne. Als Regisseur kann man sich nicht hinstellen und sagen: "So, und jetzt ist es an der Zeit, dass ich meinen ersten Hollywood-Film, meinen ersten Blockbuster oder meine erste Comic-Verfilmung mache." Man reagiert vielmehr auf die Möglichkeiten, die sich vor einem auftun. Dieses Projekt kam einfach auf mich zu. Und wenn solch ein Angebot kommt, hat man nur ein ganz kurzes Zeitfenster, um die Gelegenheit beim Schopf zu packen.

Haben die schiere Größe dieses 150 Millionen-Dollar-Projektes und die damit verbundene Verantwortung Sie nicht abgeschreckt?

Branagh:

Sicherlich. Aber ich kannte die Comic-Vorlagen sehr gut und hatte sehr schnell eine klare Vorstellung davon, wie ich an diese Story herangehen wollte. Ich hatte einfach Lust auf dieses große Abenteuer. Wie hätte ich eine solche Gelegenheit ausschlagen können? Vom ersten Treffen bis zur finalen Fassung des Filmes war die Arbeit an "Thor" eine ungeheuer intensive Erfahrung für mich. Der Lernprozess bei einem Projekt dieser Größenordnung ist einfach fantastisch. Außerdem habe ich durch den Film nun ein paar Jahre in Hollywood gelebt - das lässt man sich auch gefallen.

Was haben das Shakespeare-Universum und die Welt eines "Marvel"-Comics gemeinsam?

Branagh:

"Thor" handelt von einer königlichen Familie in Schwierigkeiten - davon gibt es bei Shakespeare jede Menge. Heinrich V. hatte keine einfache Beziehung zu seinem Vater. Auch ihm haben sie als König nicht vertraut. In "Hamlet" wiederum wird sehr viel mit Magie gearbeitet. Im Grunde genommen dreht sich die ganze Geschichte ja um den Ratschlag eines Geistes. Sowohl der "Marvel"-Mitbegründer Stan Lee als auch Shakespeare haben sich nach Mythen umgesehen. Shakespeare hat sich bei den Griechen und Römern bedient und Stan Lee in der nordischen Mythologie. Er sagte einmal: "Irgendwann ist mir zu den Menschen nichts mehr eingefallen, da habe ich mich bei den Göttern umgeschaut." Gemeinsam ist den beiden die Faszination für das Fantastische sowie für das Leben der Privilegierten und die Zerbrechlichkeit der Mächtigen.

Sie haben sich in "Thor" zum ersten Mal über weite Strecken digitalen Bilderwelten anvertraut ...

Branagh:

Wir haben auch für die fantastischen Welten Asgard und Jotunheim einige Kulissen bauen lassen. Außerdem war ich froh, dass wir die Szenen, die in New Mexico angesiedelt sind, in realen Kulissen drehen konnten und ich nicht komplett in dieser synthetischen Welt inszenieren musste. Aber die Arbeit vor dem Greenscreen ist vor allem für die Darsteller eine Herausforderung. Man bräuchte eigentlich für die Schauspieler ein spezielles Training, damit sie lernen, in diesem leeren Raum ihre Vorstellungskraft aufrechtzuerhalten. Aber eigentlich ist das ja bei Theaterproben auch nicht anders: Auf dem Papier steht "Eine Insel im Mittelmeer" und dann muss man raus auf die Bühne und sich das vorstellen.

Würden Sie in Ihrem nächsten Film wieder mit so viel High-Tech arbeiten?

Branagh:

Nein, mein nächster Film wird hoffentlich eine klitzekleine Produktion, am besten ein Drei-Personen-Stück mit einem Set nicht größer als dieses Hotelzimmer.

Der "Marvel"-Konzern ist bekannt dafür, dass er bei der Verfilmung seiner Comic-Vorlagen die Zügel fest in der Hand behält. Bei "Thor" waren insgesamt fünf Drehbuchautoren am Start. Fühlt man sich da als Regisseur ein wenig überbehütet?

Branagh:

Vor "Thor" hatte ich ja "1 Mord für 2" nach einem Drehbuch von Harold Pinter gedreht und der Kontrast, was die Zusammenarbeit mit den Autoren angeht, könnte nicht größer sein. Als ich bei "1 Mord für 2" einen kleinen Änderungsvorschlag machen wollte, musste ich eine Woche lang all meinen Mut zusammennehmen, um dem großen Harold Pinter mein Anliegen vorzubringen. Ich habe ihn sehr vorsichtig gefragt, ob ich am Ende eine ganz kleine Veränderung vornehmen dürfte. Zuerst fauchte er wie ein Löwe und tat so, als würde er nicht verstehen, was ich meinte. Dann sagte er nach etwa 20 Minuten mit tiefer, ernsthafter Stimme: "Ich glaube, dass in meinem gesamten Werk, das ich während meiner langjährigen Karriere in verschiedenen Medien produziert habe, das Ende von '1 Mord für 2' das Vollkommenste ist, was ich je geschrieben habe." Damit war die Sache für ihn und auch für mich erledigt. Dagegen war die Zusammenarbeit mit den "Marvel"-Autoren die reinste Butterfahrt. Wir haben sehr eng kooperiert und so lange an dem Stoff gearbeitet, bis wir das Beste aus ihm herausgeholt hatten.