Der Komponist José María Sánchez-Verdú setzt bei den Hamburger Ostertönen Akzente

Über einem fast unhörbaren Brummen schaudern, gurren und flattern die Stimmen. Plötzlich seufzt eine Flöte dazu wie in einem fernen barocken Traum. So hauchzart und suggestiv zugleich klingt eine Liebesszene aus der Kammeroper "Aura" von José María Sánchez-Verdú, die der Komponist am Ostermontag auf Kampnagel dirigiert. Die Intensität seiner Musik zeigt sich nicht in dramatischen Gesten, sondern in nach innen gekehrter Verdichtung. Nichts ist banal oder vordergründig.

Das hat sie mit ihrem Schöpfer gemein. Sánchez-Verdú ist Andalusier, aber er ist weit entfernt von einem glutäugigen Torero à la "Carmen". Die blassen Sommersprossen unter den dunklen Locken und die feingliedrigen Hände zeugen von Schreibtischarbeit. Im Gespräch ist Sánchez-Verdú zurückhaltend-höflich. Er hört genau zu und formuliert sorgfältig mit einem reichhaltigen deutschen Wortschatz, der seinen Bildungshintergrund ahnen lässt, ohne dass er ihn je hervorkehren müsste.

Mit seinen 43 Jahren hat Sánchez-Verdú eine Karriere hingelegt, um die ihn mancher Komponistenkollege beneidet: Er hat den spanischen Premio Nacional de Música gewonnen und den Förderpreis des Siemens-Musikpreises. Er bekommt Kompositionsaufträge von Opernhäusern, Festivals und Rundfunkanstalten. Er lehrt Komposition an den Musikhochschulen in Zaragoza (und demnächst in Dresden) und pendelt mit Frau und Sohn zwischen seinen Wohnorten Berlin und Madrid. Dieses Jahr ist er "Composer in Residence" der "Hamburger Ostertöne", die am Freitag begonnen haben. Neben "Aura" ziehen ein Kammerkonzert, ein Sinfoniekonzert und ein Porträtkonzert samt Uraufführungen einen Querschnitt durch sein Schaffen und kontrastieren es mit Werken des angestammten Festivalpatrons Johannes Brahms.

"Viele Leute halten Neue Musik für etwas Intellektuelles", sagt er, "aber Musik ist nicht zum Verstehen da, sondern zum Fühlen!" Seine Musik hat eine unmittelbar sinnliche Wirkung - und das, obgleich sie abstrakte Dinge wie Philosophie reflektiert. Sánchez-Verdú schöpft als Synästhet aus den Werken der Maler Pablo Palazuelo oder Paul Klee, aus Kalligrafie und Architektur. Man kann das hören: "Inscriptio" für Klarinette solo etwa, das beim Kammerkonzert am Ostersonntag zu hören sein wird, klingt wie das filigrane Mauerwerk in den Fenstern der Alhambra.

In Granada, der Stadt am Fuße dieses maurischen Wunders, hat Sánchez-Verdú seine Kindheit verbracht. Die Kunst des Goldenen Zeitalters von al-Andalus hat ihn genauso geprägt wie die Begegnung mit dem Komponisten Juan Alfonso García, der Organist an der Kathedrale von Granada war. Von da an wusste der Junge, dass er Komponist werden wollte. Er hat außerdem Geige, Klavier, Orgel und Musikwissenschaft studiert und besitzt ein Jura-Examen.

Immer wieder kommt Sánchez-Verdú auf Antagonismen zu sprechen, die ihm wichtig sind: auf die Wechselwirkung von Materie und Antimaterie, von Klang und Stille. "Es gibt Leute, die ohne Musikkulisse nicht leben können. Die haben einen Horror Vacui. Aber für sie ist Musik bloß Dekoration." Der Komponist stellt hohe Ansprüche an sein Publikum, auch wenn er es freundlich ausdrückt: "Ich lade die Hörer ein, sich auf Überraschungen einzulassen wie in einem Labyrinthgarten." So bereichernd solche Hörerfahrungen sind, umsonst sind sie eben nicht zu haben.

Zu seinen Vorbildern zählen Komponisten der Renaissance wie Claudio Monteverdi oder Tomás Luis de Victoria. Eine besondere Beziehung zu Johannes Brahms hat er nicht - aber die Verpflichtung auf musikalische Traditionen war es, die Projektleiterin Katrin Zagrosek bewogen hat, ihn zu den "Ostertönen" einzuladen. "Die Komponisten, die wir aussuchen, haben mit Brahms das integrale Komponieren gemein", erläutert sie. "Ihnen bedeuten klassische Klangapparate wie Chor, Streichquartett, Orchester etwas. Da wird der Vergleich spannend, weil unterschiedliche musikalische Sprachen einander wechselseitig beleuchten."

Für das Musiktheater "Aura" hat der Komponist allerdings auch ein elektronisches Instrument besetzt, ja er hat es sich sogar selbst ausgedacht: das Aurafon. Es klinge von allein, erklärt Sánchez-Verdú, angeregt durch die Impulse der Sänger und Instrumentalisten. Geschrieben hat Sánchez-Verdú die Oper auf die gleichnamige Novelle des mexikanischen Autors Carlos Fuentes, der seine Teilnahme an den "Ostertönen" kurzfristig abgesagt hat. "Aura" schillert, ganz wie das Instrument, zwischen Vorhandenem und Nichtvorhandenem. Schon der Titel ist vieldeutig: "Aura" heißt im Lateinischen soviel wie "Lufthauch" oder "Heiligenschein", im Arabischen bezeichnet es den Schambereich - in der Oper heißt so auch noch ein zauberhaftes junges Mädchen, in das sich der Wissenschaftler Felipe alsbald verliebt. Nur ist auch diese Aura nichts weiter als ein Traumgespinst.

Hamburger Ostertöne bis 25.4., Laeiszhalle und Kampnagel, Karten unter T. 35 76 66 66; Gesamtprogramm unter www.elbphilharmonie.de/ostertoene