Ulrich Schachts “Vereister Sommer“ handelt von der Willkür des SED-Regimes - und ist mehr Sachbuch als Literatur und geht trotzdem ans Herz.

Der 1951 im Gefängnis Hoheneck in der damaligen DDR geborene Schriftsteller Ulrich Schacht erzählt über die fast 50 Jahre lange Suche nach seinem Vater. Eine ungewöhnliche, doch exemplarische deutsche Biografie.

Wer sich in der DDR mit einer abweichenden Meinung hervortat, wurde von der SED-Diktatur gern für ein paar Jahre aus dem Verkehr gezogen. So ging es auch dem heute 60-jährigen Autor und Journalisten Ulrich Schacht. Er saß aufgrund einer Verurteilung zu sieben Jahren Haft wegen "Staatsfeindlicher Hetze" von 1973 bis 1976 im DDR-Gefängnis Brandenburg-Görden ein, als "Politischer". 1976 kaufte ihn die Bundesrepublik Deutschland frei. Da war Schacht 25 Jahre alt.

Sehr viel Mut hatte Schacht bewiesen, seine kritischen Überzeugungen in dem diktatorischen Staat zu äußern, denn 20 Jahre zuvor hatte derselbe Unrechtsstaat auch seine Mutter allein wegen des Gedankens der Republikflucht zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der sie dreieinhalb Jahre unter schweren Bedingungen absaß. In der Familie Schacht war also der Willkür-Apparat der SED nichts, was nicht in den Gedanken gegenwärtig war. Schacht studierte in Hamburg, wurde Journalist und Schriftsteller und stellte fest, dass ihm auch im Westen der Wind ins Gesicht blies.

Hier lernte er, wie er schrieb, den wahren Sozialismus kennen, allerdings den mit kapitalistischem Antlitz. Wer als Anti-Kommunist in den 70er- und 80er-Jahren in die Bundesrepublik kam, hatte, selbst wenn er noch vom besseren Sozialismus, jenem mit dem berühmten menschlichen Antlitz, träumte, hierzulande gute Chancen, übersehen, missachtet oder feindselig behandelt zu werden.

Vor dem völligen Absturz hat ihn wahrscheinlich die Tatsache bewahrt, dass die politische Gefangene Wendelgard Schacht, seine Mutter, ihren Ulrich 1951 hinter DDR-Gefängnismauern zur Welt gebracht hatte, wo er die ersten drei Monate seines Lebens verbrachte, bis er zu seiner Großmutter nach Wismar kam. Auch wenn Schacht dies damals noch nicht wahrnehmen konnte, so ist er als Opfer der DDR-Diktatur und der russischen Besatzungsmacht der DDR geboren worden. Von diesem Schicksal handelt das Buch "Vereister Sommer. Auf der Suche nach meinem russischen Vater". Die Liebesgeschichte seiner Mutter mit dem Offizier der russischen Armee, der der Vater des Autors ist, das Zerbrechen dieser Liebe aufgrund der damaligen Verhältnisse und die daraus folgenden Verwicklungen bilden die eine Hälfte des Werkes.

Die andere Hälfte beschäftigt sich mit der lebenslangen Vatersuche, die 1999 zu einem Happy End führt. Ulrich Schacht findet seinen Vater knapp 50 Jahre nach seiner Geburt in einem Dorf in der Nähe von Smolensk. Er lernt seine Halbbrüder Slavik und Jurij kennen; und Vater und Sohn, die sich zuvor nie begegnet sind und die sich eines Dolmetschers bedienen, fallen einander in die Arme.

Es ist eine deutsche Geschichte mit russischen Blutsbanden. Es ist eine Geschichte aus Moskauer Archiven und die Geschichte des grauenvollsten Gesichtes der DDR. Auch die Geschichte einer intensiven Mutter-Sohn-Beziehung, die vielleicht sogar etwas zu kurz kommt. Es handelt sich nicht um einen autobiografischen Roman, sondern um ein Sachbuch mit literarischen Elementen, die manchmal etwas aufgesetzt daherkommen, aber die nichts daran ändern, dass das Buch flüssig zu lesen ist und eine Geschichte erzählt, die ans Herz geht.

Ulrich Schacht: "Vereister Sommer. Auf der Suche nach meinem russischen Vater", Aufbau Verlag, 221 S., 19,95 Euro