Carlos Ruiz Zafóns Marina - eine poetische Erzählung und magische Erinnerung

"Manchmal geschehen die realistischsten Dinge nur in der Vorstellung, Óscar", lässt Carlos Ruiz Zafón seine Titelheldin Marina zu ihrem Freund sagen, um ihr dann ein Geheimnis seiner eigenen Poetologie in den Mund zu legen: "Wir erinnern uns nur an das, was nie geschehen ist." So ganz stimmt das natürlich nicht. Der in Los Angeles lebende Barcelonese Zafón erinnert sich sehr wohl an das Jesuiteninternat in Sarriá, an den Stadtteil, den sein Protagonist Óscar Drai als Schüler durchstreift und in dem er Marina kennenlernt. Der alte Zauber dieses Sarriá ist inzwischen dem katalanischen Boom gewichen und "Marina" liest sich wie eine Annäherung an das Heimweh - nicht nur an eine Stadt, die es so nicht mehr gibt, sondern auch an die eigene Jugend, die dieser Roman beschwört.

Er ist zwei Jahre vor "Im Schatten des Windes" erschienen und gilt als das persönlichste Buch des Autors. Wenn es erst jetzt zu uns kommt, dann wegen einer urheberrechtlichen Odyssee, die dem Autor "viel Verdruss" bereitet hat, wie er im Vorwort einräumt.

Die zarte Geschichte der jugendlichen Liebe zwischen Óscar und Marina, beide jung, gebildet und schön, mündet in eine Fantasywelt des historischen Barcelona. Hier geht es um einen einstmals superreichen Mann und seine von einem eifersüchtigen Geschäftsmann durch ein Säureattentat schwer entstellte Ehefrau. Die Folgen dieser der realen Stadtgeschichte nachempfundenen Gewaltkaskade bekommen die beiden jungen Helden zu spüren. Zafón gewinnt aus dem Kontrast der Liebeserzählung zu dem wie im Traum erlebten Spannungsteil die literarische Substanz, die seine Verehrer so schätzen.

Der kleine Rahmen, in den der Ich-Erzähler 15 Jahre nach der erzählten Zeit den Roman gespannt hat, ermutigt zu der schönen Lesart, dass nicht nur die unwirkliche Welt, in die Óscar und Marina in fantasievollen Nächten eintauchen, ein Traum ist. Auch die Liebesgeschichte selbst ist eine Fata Morgana der Erinnerung an etwas, was nie geschehen ist. Sie macht das Heimweh nach dem verschwundenen alten Barcelona und nach der eigenen Jugend erträglich und ist nichts anderes als die Grundlage jeder Literatur.

Da sie so schön geschrieben und von Peter Schwaar so gut übersetzt ist, gewinnt der Leser aus dieser magischen Erinnerungsbeschwörung Trost über eigene im Laufe der Zeit erlittene Glücksverluste. Da ist es keine Überraschung, dass jemand, der so etwas kann, von vielen gern gelesen wird.

Carlos Ruiz Zafón: "Marina", aus dem Spanischen v. Peter Schwaar, Fischer, 350 S., 19,95 Euro