Yoel Gamzou meißelt in der Laeiszhalle Töne aus den Saiten

Hamburg. Ein krasser Typ, dieser Yoel Gamzou. Beim Verbeugen knallt er fast mit der Stirn aufs Geländer vom Dirigentenpult. Als er den Musikern der Hamburger Symphoniker die Hände schüttelt, kugelt er manchen beinahe den Arm aus. Und er dirigiert sich so in Rage, stößt seine schlanken Gliedmaßen so wild von sich, dass man glaubt, jeder Takt könnte sein letzter sein, in jeder Sekunde könnten ihm alle Sicherungen durchbrennen - zumindest bei der Musik von Gustav Mahler, seiner Leidenschaft, seiner Berufung.

Bei dessen "Totenfeier" - die Frühfassung vom ersten Satz der Zweiten Sinfonie - entfacht der 24-jährige, israelisch-amerikanische Nachwuchsmaestro am Dienstag in der Laeiszhalle einen atemberaubenden Furor: Wenn er das Anfangsmotiv der Celli gewaltsam aus den Saiten meißeln lässt, scheint die Musik magmatisch zu explodieren. Er formt mächtige Kontraste zwischen brüllenden Fortissimi und fast unhörbaren Piano-Passagen, die den collagenhaften Charakter des Stücks bestärken. Und er fordert extreme Tempowechsel, die den Symphonikern manche Probleme bereiten.

Und auch wenn das Orchester nicht in Bestform spielte und (etwa in den Bläsern) einige Male kräftig danebenlangte, war das trotzdem der vielleicht aufregendste Beitrag zum Hamburger Mahler-Jubiläum. Gegen diese alles erschütternde Interpretation verblasste selbst die brillante Programmidee des Konzerts zum Thema "Musikstadt Jerusalem". Es vereinte unter anderem Messiaens "Farben der himmlischen Stadt" mit seinen grell gleißenden Klängen (und schwer zu synchronisierenden Rhythmen) und Ruzickas "Recherche", in dem eine mystische Beschwörung der Stadt Jerusalem und die vertonte Verzweiflung über den Holocaust aufeinanderprallen.

Beide Werke ließen nicht viel Spielraum für Gamzous Gestaltungskraft. Dafür machte er die dritte Sinfonie von Elmar Lampson zum zweiten Höhepunkt. Ganz anders als bei Mahler stand hier allerdings nicht das permanente Überkochen im Vordergrund. Lampson verwebt zarte Flageolettsounds, ausgedehnte Flötenkantilenen und Anspielungen auf die Vergangenheit zu einer filigranen Hörreise ins Innere der Klänge. Hier kam Yoel Gamzou wenigstens ein bisschen zur Ruhe - bevor am Ende der Mahler-Sturm wieder aus ihm herausbrach.

Ein außergewöhnliches Konzert mit einem höchstbegabten jungen Mann, dem man für die Zukunft eine halbwegs gesunde Balance aus Genie und Wahnsinn wünscht.