Es gibt sie durchaus, die Kultur des Konsums, man muss sie nur richtig beschreiben. Den Autoren Miller und Hecken ist es gelungen.

Hamburg. Einkaufen ist Weltreligion, die Sprache des Konsums spricht eigentlich jeder. Materialismus ist der Kitt der modernen Gesellschaft, aber wie selten wird er auf positive Weise gewürdigt. Im Gegenteil. Oft ist es die "Konsumgeilheit", die von moralinsauren Zeitgenossen angeprangert wird: auf dass wir ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir über Grundbedürfnisse hinaus einkaufen. Man kann diese in Jahrzehnten eingeübte Haltung (feststellbar bei linken und konservativen Intellektuellen) einen Mythos nennen, man kann sie aber auch einfach übergehen: Was soll schon schlecht sein an Konsum? Und was juckt uns das Lamento der Kritiker?

Oder man verfasst eine anthropologische Studie, die darlegt, warum es oft das Gegenständliche ist, das die Menschen formt und dem Leben Sinn verleiht, die erklärt, warum es die Kultur der Dinge ist, die das Leben strukturiert, weil sie Halt bietet und mit Veränderungen zurechtzukommen hilft. "Wir werfen uns vor, dass wir immer oberflächlicher und materialistischer würden, dass uns Dinge längst wichtiger seien als Menschen", schreibt der Wissenschaftler Daniel Miller im Vorwort seines Buches. Es trägt den wundervollen Titel: "Der Trost der Dinge".

Es stellt natürlich keine Anleitung zum Geldverprassen dar. Sondern vielmehr die liebevollste und charmanteste Apologie des Konsums, die man sich denken kann. Miller, geboren 1954, hat auf denkbar einfache Weise die Verbindung von Menschen und Dingen (Ist sie nicht genauso maßgeblich wie die zwischen Menschen?) studiert. Er besuchte in einer durchschnittlichen Londoner Straße 100 Bewohner von größeren und kleineren, schickeren und bescheideneren Wohnungen und befragte sie nach ihren Lebensverhältnissen.

Was dabei herauskam, sind Porträts, die ihre Schlüssigkeit aus der Beziehung dieser Menschen zu ihren Habseligkeiten bekommen. Millers bahnbrechende anthropologische Studien zum Konsumverhalten ("Theory Of Shopping") waren wissenschaftlich, in "Trost der Dinge" erzählt er dagegen fast wie ein Romancier die Geschichten seiner "Helden": von Simon, der CDs und Schallplatten und Quietscheentchen sammelt, von Mr und Mrs Clarke, die das Fest des Kommerzes, Weihnachten, zelebrieren - mit allen Familienmitgliedern. Die müssen sich aber gar nichts Edles schenken, manchmal genügt eine Erinnerung aus der Kindheit, ein altes Zeugnis, ein Teddybär. Miller besucht Anna und Louise, die für ihren Sohn Spielzeug bei Ebay ersteigern. Und da ist die Ästhetik der Dinge in Jennys Haushalt, bei denen die Anordnung so wichtig ist wie der Gegenstand selbst: Schmuck und Bilder in Sepiatönen.

Das Gegenteil von diesen Genannten - insgesamt finden sich in der deutschen Ausgabe der Studie 15 Porträts - ist ein älterer Herr namens George. Er ist jenseits der 70. In seiner Wohnung befinden sich fast keine Gegenstände außer den notwendigsten Möbeln. Doch genauso leer ist Georges Leben: Es hat nie wirklich begonnen. George hat kaum soziale Kontakte, er, der unglücklich ist, kontrastiert die (mehr oder minder) glücklichen Bewohner. Die ausgewählten Beispiele mögen illustrieren: Miller hat ein idealistisches Verständnis von Konsum. Dinge laden unser Leben mit Bedeutung auf. Wer sich den Dingen mit Hingabe widmet, tut dies auch bei Menschen.

Konsum hat aber oft genug etwas mit Massenkultur zu tun; der schlägt traditionell große Skepsis entgegen. Begriffe wie Marketing, Konsumismus und Kulturindustrie sind negativ besetzt. Nach 1945 ritualisierte sich die Kritik der Intellektuellen an der Massenkultur, die man vielleicht auch schlicht die Popkultur nennen könnte. Es war (und ist) durchaus ein elitäres Bestreben, das die konservativen Konsumablehner antreibt: Massenartikel sorgen in ihren Augen für Konformismus und Nivellierung. Linke brandmarken seit Herbert Marcuse den Warenfetischismus, der angeblich nichts über die Freiheit des Menschen, viel aber über seine Unfreiheit aussagt.

Miller ist derzeit in seiner affirmativen Haltung zum Konsumverhalten nicht allein. Der deutsche Popforscher Thomas Hecken etwa preist die Vorteile der bequemen Konsumhaltung - nachdem er zunächst ausführlich "Das Versagen der Intellektuellen" (Buchtitel) analysiert hat und ihr jahrzehntelanges Wüten gegen den Konsum. Wer gerne shoppen geht, so Hecken, kommt wenigstens nicht in die Versuchung, sich ideologisch zu verrennen.

Natürlich sagt Hecken, der Geisteswissenschaftler, dies nicht explizit. Aber die Logik seiner Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter ist so bestechend wie banal. Denn der oft intellektuell und feuilletonistisch überhöhten Konsumkritik, sagt Hecken, liegen ein anspruchsvolles Programm und heroische Denkakte zugrunde, die "ausnahmslos die Verachtung des privaten, unspektakulären Alltags" als Inhalt haben.

Konsum erscheint bei Hecken als Ausweis einer hauptsächlich passiven Existenz. Er geißelt hochtrabende Denkkonstrukte, nennt sie einen Feind politischer Teilhabe, was am Ende in einem Bekenntnis zur Anspruchslosigkeit gipfelt: Eine Existenz, "die wenig schafft oder gar im großen Maßstab verändert, verfügt über hinreichende Möglichkeiten für ein angenehmes und auch sinnvolles Leben".

Vielleicht geht's aber - viel prosaischer - auch nur um das unwiderstehliche Gefühl, das sich einstellt, wenn wir uns eine CD, Schuhe oder einen schicken Bildband zulegen. Der Glücksmoment beim Kaufen.