Was wurde zuletzt nicht alles “getickert“. Die Gegenwart findet online ihr Leitmedium - im Liveticker. Trauen sollte man ihm nur bedingt

Hamburg. Die Geschichte der Menschheit ist auch eine ihrer Kommunikationswege und Informationsvermittlung. Wenn das Gefühl nicht täuscht, ist schon seit Längerem in Deutschland der sogenannte Liveticker steter Begleiter durch den Alltag der von Wissensdurst, Computerzwang und Langeweile getriebenen Menschen der Internet-Zeit.

Was wurde nicht alles "getickert" zuletzt. Das Weltgeschehen, übersetzt auf die Bildschirmfläche, als Abfolge stakkatoartigen Satzgehechels: über die Revolutionen in Arabien, die Guttenberg-Dämmerung, das Westerwelle-Hinscheiden und die Reaktorkatastrophe. Gefühlt gab es jeden Tag einen Newsticker. Weshalb sich jetzt, wo ein bisschen Friede ist in allen Redaktionen und ein wenig Ruhe auf den Computer-Bildschirmen, die Empfindung einer gewissen Leere einstellt.

Passiert denn gar nichts mehr, genau jetzt und irgendwo da draußen?

Oder bekommen wir Lemminge in unseren stickigen Büros und hoch technisierten Hamsterrädern derzeit nur eine Atempause vom atemlosen Lauf der Welt? Man konnte zuletzt immer mehr den Eindruck haben, als habe sich das Geschehen in Deutschland und darüber hinaus ganz außerordentlich beschleunigt. Als hätte jedes Ereignis den Rhythmus eines Sportereignisses. Denn der Newsticker, der auf den Nachrichtenportalen im Internet so außergewöhnlich virulent ist, der geradezu zum Stilmittel des gesamten Mediums geworden ist, stammt ja ursprünglich aus dem Sport. Dort trifft Spieler xy zum 1:0 in der 24. Spielminute. In der Politik ist es Guido Westerwelle, der um 19.03 Uhr vor die Presse tritt und dumm aus der Wäsche guckt.

Im Liveticker findet das Internet zur großen Form: Wer nicht fernsieht, wem keine bewegten Bilder zur Verfügung stehen, der surft im World Wide Web und verpasst keine Minute. Seinen Namen trägt der wie von Geisterhand agierende Live-Zeuge übrigens, weil die Geräte in den Redaktionen die Meldungen der Nachrichtenagenturen einst mit dem charakteristischen tickenden Geräusch empfingen.

Am PC tickt nichts mehr, es schlägt lediglich. Und zwar die Minute der sensationsheischenden und vom Aktuellen getriebenen Beobachter: Sie reportieren mehr oder minder unreflektiert das Geschehen und verführen den Leser derart zu einer bestimmten Haltung, die viel gemein hat mit der des Rezipienten einer spannenden Unterhaltungssendung.

Gruselig wird dies dann, wenn bei einer schwer zu fassenden Katastrophe wie in Fukushima, in der man nicht einmal weiß, wie ehrlich die Informationspolitik der Betreiber und der Regierung ist, oder bei kriegerischen Handlungen wie in Libyen, in denen die Propaganda Regie führt, der Fortgang der Dinge wie in einer live protokollierten Sportveranstaltung geschildert wird.

Der Konjunktiv ("Explosion in Block 2 beschädigte offenbar Reaktor" - "Super-GAU droht" - "Wind könnte in Richtung Tokio drehen") rettet die Situation, in der Wissenslücken auf journalistisch redliche Weise dargestellt werden, keineswegs: Man lässt sich ja doch von der Gegenwarts-Ekstase des Augenblicks hinreißen. Es ist dasselbe wie die menschliche Schaulust, die uns auf die nächste Aktualisierung lauern lässt.

Dem Informationswert des Livetickers muss man misstrauen, man sollte dies auch mit der eigenen flüchtigen Auffassung tun: Die Informationsflut im Netz ist nicht nur anstrengend, sondern auch sinnlos und zu schnell. Der Wettstreit der Internetportale erschöpft sich entweder im Kommunizieren des Doch-nur-Gleichen. Oder in haltlosen Vorausdeutungen, was zukünftig passieren könnte und dann eben doch nicht passiert.