Hymnen katapultieren uns in den Orbit des Indie-Frühlings. Zu hören sind sie auf den neuen Alben von den Briten Elbow und der US-Band Maritime.

Wirklich sehr hübsch ist das audiovisuelle Erklärstück auf der deutschen Website der Band Elbow, mit dem die Briten ihr neues Album "Build A Rocket Boy" bewerben. Zu sehen ist dort der Sänger Elbows, er heißt Guy Garvey und ist so ziemlich der unglamouröseste Typ, den man sich vorstellen kann. Garvey sitzt also in einem netten Ambiente, einer stilvollen Kneipe mit Bildern an der Wand, Bier und einer Schachtel Marlboro Lights auf dem Tresen. Der Erfolg seiner vor 20 Jahren in Manchester gegründeten Band ist zuletzt märchenhaft gewesen: Mit dem vierten Album, "The Seldom Seen Kid" (das den renommierten Mercury Prize gewann), heimste Elbow den längst verdienten großen Erfolg ein.

Besonders daheim auf der Insel; aber großer Erfolg verändert natürlich nicht alles. Und deswegen erklärt Garvey, der Mancunian, wie die Leute aus Manchester heißen, uns Deutschen das neue Album - Track bei Track. Slang-Ausdrücke und umgangssprachliche Redewendungen aus einer Gegend, in der die Menschen so unverständlich sprechen wie in Hessen und in Baden-Württemberg: Da kann man durchaus Hilfe gebrauchen. Man erfährt aber auch anderes, zum Beispiel, dass die Akkordfolge des Songs "The River" in der Garderobe des Friedrichshainer Klubs Astra entstand. Und dass Garvey zwar einen sakralen Sound mit Chor und allem Drum und Dran, aber einen Text mit weltlichem Thema wollte. Und so singt er dann in diesem tollen Song vom Einswerden mit der Natur: "I walked with the river in kind of a dream / Hand in hand, the all-knowing river and me / To the clammer of rushes and deeply barren trees / A drunk making blossom, the blush to be seen".

Garvey ist ein Poet, die Musik von Elbow altmodisch: Hymnen, breit instrumentiert, lieber sperrig als pathetisch. Dabei unterlaufen Garvey und seine Mitmusiker konsequent jede Erwartungshaltung, die sich aus dem grandiosen "Seldom Seen Kid" zumindest für Plattenfirma-Bosse ergibt: Eingängige Songs gibt es auf "Build A Rocket, Boys!" weniger als auf dem Vorgänger. Der Reiz der Platte entfaltet sich, wenn man sie bewusst hört. Das erste Stück, "The Birds", dauert über acht Minuten, es erinnert an Radiohead. Danach kommt schon der Höhepunkt des Albums: "Lippy Kids".

Sechs Minuten, anschwellend und abflauend, ein so gewaltiger wie hingetupfter Song, fein verästelt und zärtlich. Am Ende pfeift Guy Garvey, der Exeget in eigener Sache: Was "Do they know those days are golden? / build a rocket boys!" heißt, braucht er aber nicht zu erklären.

Wenig erklärungsbedürftig sollte auch die amerikanische Powerpop-Band Maritime sein. Sie wurde für Europa einst vom Hamburger Label Grand Hotel van Cleef entdeckt. Das Debütalbum "Glass Floor" erschien 2004. Dieser Tage kommt das vierte Album, "Human Hearts", heraus. Welch einleuchtender Titel: Denn wo sollten menschliche Herzen heftiger schlagen als in der Kunstform Musik?

Und wer wissen will, wie fröhliche, glitzernde und ekstatische Gitarren klingen, der höre die fantastisch schrabbelnden Rocksongs "People of London" und "Outnumbering". Maritime ist eine typische College-Radio-Band, aber eine, die immer dramatisch unterschätzt wurde. Gegründet wurde Maritime einst als Auffanglager zweier verdienter Indierockbands: Dismemberment Plan und The Promise Ring. Wichtigste Person bei Maritime ist Davey von Bohlen. Ein Mann mit Gefühlen, groß wie der Mond. Den heult er in seinen traurigen und euphorischen Liedern immer an. So gut wie auf "Human Hearts" waren von Bohlen und seine Band noch nie. Harmoniegesänge, Melodien und auch mal ein ziemlich tanzbarer Upbeat (wie in der Single "Paraphernalia") machen "Human Hearts" zu einer hymnischen Angelegenheit.

Live dürften die neuen Songs also gut funktionieren. Auch weil sich unter ihnen ein Stück befindet, das, horribile dictu, in die Kategorie "Powerballade" gehört: "The Faint Of Hearts". Powerballaden sind ja eigentlich das Metier von Aerosmith und Bon Jovi. Alles, was bei denen aber immer eine Spur zu klebrig und schmalzig ist, wird bei Davey von Bohlen, der maßgeblich an der Erfindung des "Emocore" beteiligt war, zur emotionalen Tour de Force: samt dengelnder Gitarren.

Elbow: Build A Rocket, Boys! (Universal)

Maritime: Human Hearts (Grand Hotel van Cleef)