Rosa von Praunheims Film “Die Jungs vom Bahnhof Zoo“ ist ein schonungsloser Blick in das Leben junger Stricher

Abaton. Daniels Geschichte spricht für sich, man muss keine Worte verlieren, um sie zu erzählen. Die Bilder genügen. Er steht vor dem Haus seiner Kindheit in Berlin, ein blonder 28-Jähriger, der ein bisschen verloren wirkt, und dann geht es weiter, zu den anderen Stationen, einem Pflegeheim und dem Straßenstrich. Ja, auch das kann eine Berliner Kindheit sein. Daniel ist einer der "Jungs vom Bahnhof Zoo". Der Autor, Filmregisseur und Schwulenaktivist Rosa von Praunheim hat sie in seiner Dokumentation porträtiert. Drei von ihnen kommen mit Praunheim zur heutigen Hamburg-Premiere des Films, den das Abaton ab Donnerstag zeigt.

Kaputtes Elternhaus, Pflegefamilie, Jugendheim, Diebstähle, Knast und Anschaffen - es ist der "klassische" Weg auf die schiefe Bahn. "Als ich die ersten 80 Mark in der Hand hielt, dachte ich: Ist doch viel einfacher als Autoklauen", erzählt Daniel im Rückblick. Missbrauch ist der andere Einstieg in die Szene. Daniel zum Beispiel wurde vom Hausmeister seiner Grundschule missbraucht, da war er gerade mal sechs. Später hat er ihn dann an eine Pädophilen-Clique weitergereicht, vor ein paar Jahren flog sie auf. "Da wurde mir erst klar, dass kriminell ist, was mit mir passierte", sagt der scheue, ratlos und verzweifelt wirkende junge Mann. Er fühlt sich von seinen früheren "Freunden" verraten. Als er älter wurde, war er für sie nicht mehr attraktiv, sie ließen ihn einfach fallen.

Das Alter sei das Hauptproblem für alle Stricher, wie der Sozialarbeiter Sergiu Grimalschi im Film erkärt: "Sie haben keine Ausbildung, ihnen bleiben nur Hilfsjobs." Nicht zu reden von gesundheitlichen und psychischen Schäden, denn viele sind heterosexuell, brauchen aber das schnelle Geld. In Hamburg gibt es etwa 3000 Stricher, ein Drittel etwa stammt aus Osteuropa. "In Berlin sind 70 Prozent der Jungs Osteuropäer, der größte Teil kommt aus Rumänien", sagt Rosa von Praunheim. Durch seinen jetzigen Freund Oliver, der für das Berliner Stricherhilfe-Projekt "Sub/Way" gearbeitet hat, fand er den Mut und einen Zugang zur Szene, sprach mit jungen Männern, mit Freiern und Kneipenwirten. Auch er musste Vorurteile gegen das Milieu überwinden: "Man denkt an Drogen, Kriminalität und Mord. Alles Dinge, die mich abgeschreckt haben." Durch die liberalere öffentliche Einstellung gegenüber Homosexualität habe sich das Klima jedoch gewandelt, Erpressung und Verbrechen seien zurückgegangen. An der Tragik der Schicksale hat sich allerdings nichts verändert.

Praunheim zeigt das einfühlsam und doch unsentimental an den"Karrieren" einiger Roma. Nazifs traurig-verdunkelter Blick in die Kamera sagt mehr als all seine Worte. Der bulgarische Roma ist ein gebrochener Mann. Das Opfer seiner Familie, die ihn zum Klauen zwang, misshandelte und verstieß, als sie von seinem Schwulsein erfuhr - ein Tabu unter den Roma. Als Nazif in der Haft lesen und schreiben lernte, schrieb er sich im Buch "Fluchtversuche", erschienen im Männerschwarm-Verlag, sein Leiden von der Seele. Praunheim besuchte ein rumänisches Dorf, in dem die jungen Männer mit Anschaffen ihre Familien durchbringen, die davon aber nichts wissen. "Die Armut ist ungeheuer groß, das können wir uns nicht vorstellen", sagt der Regisseur. Die Jungen werden nach Berlin geschickt, um zu betteln oder Musik zu machen, gehen aber auch anschaffen, holen dann noch ihre Brüder und Cousins nach." Sie sind oft Analphabeten, haben weder Sprachkenntnisse noch ein Zuhause und sind auf die Straße oder Stricherlokale angewiesen. Wie in seinen anderen Filmen gelingt es dem Regisseur erneut, emphatisch hinter den Klischees und gängigen Vorurteilen persönliche Schicksale sichtbar zu machen. Indem der Zuschauer sie kennenlernt, bringt ihnen Rosa von Praunheim die Menschen nahe und macht Verstehen möglich.

"Die Jungs vom Bahnhof Zoo" heute, 20.00, Abaton-Kino (Metrobus 4/5 Grindelhof), Allende-Platz 3, Karten zu 7,50, erm. 6,50, T. 41 32 03 20, Premiere in Anwesenheit des Regisseurs