Im Kleist-Jahr werden dem genialen Dichter in Hamburg viele Veranstaltungen gewidmet. Zum Beispiel heute Abend im Schauspielhaus (U + S Hauptbahnhof).

Malersaal. Das Leben des Dichters Heinrich von Kleist endete mit einem Knalleffekt. Er erschoss sich bekanntlich am Wannsee. Der Doppelselbstmord mit Henriette Vogel ist meist das Erste, was einem zu Kleist, dem verkannten und verunglückten Genie, einfällt. Zu Lebzeiten war der 1777 in Frankfurt an der Oder geborene Abkomme eines adeligen Geschlechts, dessen Männer im preußischen Militär dienten, ein verzweifelt um Geltung ringender Nomade, den es nie lange an einem Ort hielt. Seine Stücke wurden selten gespielt, die Texte selten gedruckt und noch weniger gelesen. Dabei gilt Kleist heute als literarischer und dramatischer Gigant, dessen Poetik viele moderne Befindlichkeiten und Strömungen vorwegnahm.

Dem Neuerer und kompromisslosen Dichter werden in diesem Jahr, in dem sich sein Tod (am 21. November) zum 200. Mal jährt, auch in Hamburg viele Veranstaltungen gewidmet. Eine findet heute Abend im Malersaal des Schauspielhauses statt, wo als eine von sechs Aufführungen der Regiestudierenden der Theaterakademie Hamburg "Die heilige Cäcilie", gezeigt wird: Kleists als Legende deklariertes Prosastück aus dem Jahr 1810, das erstmals in den "Berliner Abendblättern" erschien.

Mit denen hatte es übrigens eine besondere Bewandtnis. Denn Kleist, der Dichter zwischen den Epochen (er ist weder der Klassik noch der Romantik zuzuordnen), war nicht nur der Autor verstörender, geradezu gewaltsamer Theaterstücke wie "Penthesilea" und "Der Prinz von Homburg". Sein Talent erschöpfte sich auch nicht in den berühmten Novellen, dem "Michael Kohlhaas" oder dem "Findling", der "Marquise von O..." oder dem "Erdbeben in Chili". Nein, Kleist war tatsächlich auch ein Pionier in der Pressegeschichte. Die von ihm geleiteten "Berliner Abendblätter", nach dem "Phöbus" und der "Germania" seine dritte publizistische Unternehmung, waren die erste Tageszeitung Berlins. Kleist berichtete als Herausgeber auch über Gesellschaftliches und druckte Polizeimeldungen, außerdem galt sein Interesse größeren und kleinen Feuilletons.

Seine Texte fanden nie einen größeren Verbreitungsgrad als in der freilich nur ein Jahr währenden Geschichte der Abendblätter. Nachlesen kann man diese Episode in den vielen im Kleist-Jahr erscheinenden Biografien: zum Beispiel der flott geschriebenen von der italienischen Germanistin Anna Maria Carpi ("Kleist. Ein Leben", Insel Verlag) und der profunden Peter Michalziks ("Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher", Propyläen Verlag).

Goethe, der Kleists Komödie "Der zerbrochne Krug" 1808 erfolglos am Weimarer Hoftheater inszenierte, sprach von einer "Verwirrung des Gefühls" in Kleists Texten: Der Humanist, der nach Winckelmann "edle Einfalt und stille Größe" predigte, konnte mit dem viele Konventionen über Bord werfenden Kleist nichts anfangen.

Dabei war Kleist, der erst Ende des 19. Jahrhunderts populär wurde, jemand, der die Krisenerfahrungen des modernen Subjekts als Erster thematisierte. Bei Kleist gab es unsoldatische Militärführer, die um ihr Leben winselten ("Der Prinz von Homburg"), Amazonen, die ihren Gegnern erotisch zugetan waren und sie zerfleischten ("Penthesilea"), und brandenburgische Pferdehändler, die gegen die alte Ordnung opponierten, weil deren Legitimität innen hohl war ("Michael Kohlhaas").

Was Kleists Zeitgenossen besonders verstörte, war die Spirale der Gewalt, in die seine Helden oft gerieten. Seine Werke waren vielschichtig und symbolträchtig. In Kafka fand Kleist einen großen Bewunderer, leider auch in den Nazis. Der Dichter der "Hermannsschlacht", der gegen die Franzosen agitierte, wurde zum deutschnationalen Heros ("Zu Kleist stehen heißt deutsch sein"). In literarischen Zirkeln avancierte Kleist neben Büchner und Hölderlin zu einer Art alternativem Klassiker. Kleist ist der vieldeutige Gegenspieler des Heldengestirns Goethe/ Schiller und der Romantiker. Er fand nicht in die Einheit zwischen Subjekt und sozialer Ordnung, und er hörte auch kein Lied in allen Dingen.

Heinrich von Kleist wird in Hamburg das ganze Jahr über in vielen Veranstaltungen gewürdigt. Zum Beispiel heute Abend im Schauspielhaus (U + S Hauptbahnhof), Kirchenallee 39, wo "Die heilige Cäcilie", "Der Findling" und "Penthesilea" aufgeführt werden (Beginn 19.00). Alle anderen Lesungen, Vorträge und Aufführungen finden sich im Internet unter www.heinrich-von-kleist.org