“Titos Brille“ ist Adriana Altaras' großartiges Literaturdebüt

Dass einzig Juden unverkrampft über jüdische Klischees in Deutschland damals und heute schreiben können und vor allem dürfen, steht außer Frage. Wie geistreich, heiter, unterhaltsam und zugleich einfühlsam und distanziert dies geschehen kann, beweist Adriana Altaras in ihrem literarischen Debüt "Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie". Und wie turbulent diese autobiografische Geschichte ist, die ständig zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, zwischen Kroatien zu Titos Zeiten, den Nachkriegsjahren in Italien, der Schweiz und der deutschen Provinz und dem Berliner Leben im 21. Jahrhundert hin und her springt, kann sich jeder vorstellen, der die 1960 in Kroatien geborene Schauspielerin und Regisseurin jemals auf der Bühne erlebt hat.

Eigentlich führt Adriana Altaras ein ganz gewöhnliches, chaotisches Künstlerleben in Berlin, mit zwei fußballbegeisterten Söhnen und einem westfälischen Ehemann, der ihre Spleens und jüdischen Extravaganzen stoisch erträgt. Doch plötzlich sterben ihre Eltern kurz hintereinander und Altaras muss inmitten der Berge von Erinnerungsstücken 40 Jahre Familiengeschichte aufarbeiten. Die zahlreichen Geliebten ihres Vaters, die trostsuchend bei ihr auftauchen, bilden da nur die Spitze des Geheimnis-Eisberges.

Und dann wollen auch noch die Beerdigungen nach jüdischen Ritualen und deutschen Vorschriften organisiert werden. "Erst stirbt mein Vater, kurz danach meine Mutter. Nun gut, das kommt vor. Dann benötigt Hessen 24 Stunden, um den Tod festzustellen, während die Juden überhaupt nur 24 Stunden dafür gestatten. Raffi behauptet ja, es sei nicht einfach, als Jude in Deutschland zu leben. Ich finde, als Jude in Deutschland zu sterben, viel mühsamer", stellt Altaras lakonisch fest.

Diese und ähnlich nüchtern vorgetragene Erkenntnisse machen dieses mit so wunderbar leichter Hand geschriebene Buch aus. Ebenso unbefangen beschwert sie sich über prominente deutsche Juden (Broder, Friedman und Rosh) und berichtet selbstironisch von ihren Dibbuks, den Stimmen aus dem Jenseits, die ihr so manche Nacht den Schlaf rauben.

Natürlich ist Altaras' Familiengeschichte eine dankbare. Schließlich hat nicht jeder Eltern, die als Partisanen gegen die Faschisten in Jugoslawien kämpften, dann in Konflikt mit dem sozialistischen Staat gerieten, über verworrene Wege nach Deutschland kommen, wo sie in Gießen 1978 eine jüdische Gemeinde gründen und mit einem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. Und so ist "Titos Brille" auch noch eine sehr unterhaltsame Einführung in die europäische Geschichte und die jüdischen Traditionen.

Adriana Altaras: "Titos Brille". Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten 18,95 Euro

Lesung bei den Vattenfall-Lesetagen, Mo., 11.4., 19.00, Warburg-Haus (U Kellinghusenstraße), Heilwigstraße 116, Eintritt 7 Euro, Karten unter www.vattenfall.de/lesetage