Mit “Best of Rest of Cora Frost“ verabschiedet die Chanteuse ihre alten Lieder

"Hier habe ich gewohnt", sagt Cora Frost und blickt wehmütig eine gekachelte Fassade empor. Am Montagmorgen liegt der Kiez an der Adresse Hamburger Berg 19 noch schlafend da. Und ja, dies war einmal das Zuhause der Chanteuse. Bei den Transsexuellen. Irgendwann in den 90er-Jahren. Genauer weiß sie es nicht mehr. Damals hatte sie sich in Lorena Montez, eine Striptease-Tänzerin im Pulverfass, verliebt und sie geheiratet.

Es waren lustige Zeiten. Man aß argentinischen Toast und schaute gemeinsam Horrorfilme. In einem Stockwerk hielt eine Brasilianerin Hunde und Vögel, in einem anderen residierten Katzen. "Später hat Lorena sich in den Ansager einer Peepshow verliebt und sich an Weihnachten umoperieren lassen", seufzt Cora Frost. "Seither ist sie verschwunden." Schon als junges Mädchen fühlte sich die Sängerin und Schauspielerin zur Szene der Nachtschattengewächse und Stripklubs hingezogen. "Ich weiß nicht, was einen da treibt. Ein Instinkt. Eine Suche. Das war wie das Meer, das mich rausgezogen hat", sagt sie.

Die Suche führte sie auf die Bühnen von Travestie und Kabarett. Dabei war sie nie eine Projektionsfläche des Süßlich-Frivolen. Sanft, aber zu unerbittlich, geradeaus, aber zu melancholisch beschrieb sie die zartbitteren Seiten des Lebens und der Liebe. Sie wurde die intellektuelle Poetin des Bizarren. Kritiker nannten sie "das Größte und Gefährlichste, was der deutschen Kleinkunst zustoßen konnte". Ihre androgyne Ausstrahlung verwirrte ihr Publikum häufig. Irgendwann begriff "die Frost", dass die Leute sie als Frau sehen wollten. Nach 25 Jahren will sie die alten Lieder nun vorläufig zum letzten Mal singen. Mit dem aktuellen Programm "Best of Rest Of Cora Frost" gastiert die Chanteuse heute in den Fliegenden Bauten.

Auch im Kiezcafé "Bei Theresa" ist an diesem Vormittag noch nichts los. Hier bestellt Cora Frost eine deftige Fischsuppe. Von der Wand blickt Marlene Dietrich auf sie herab. Roger Whittaker säuselt "Wenn es dich noch gibt" aus den Boxen. Ihre Eltern hätten es gerne gesehen, wenn sie Philosophie studiert hätte oder Pastorin geworden wäre. Mit acht Jahren ließ sie für kurze Zeit das Sprechen und Lachen sein und beschloss, sich nur noch mit Greisen zu umgeben. Als ihr erster Freund im Alter von 80 Jahren verstarb, entschied sie sich für das Leben. Mit 14 Jahren wollte sie dann Tänzerin werden und Performances schreiben. Mit 17 Jahren trat sie in einem Münchner Travestie-Striptease-Kabarett auf. Es war die Zeit der altmodischen Klubs mit boxenden Kängurus und Zauberern.

Sie entwarf kleine tragikomische Dramen von Witwen, die den Kopf ihres Mannes in der Handtasche trugen. Eines Tages entdeckte sie hier die Schauspielerin Marianne Sägebrecht und engagierte sie für ihre "Opera-Curiosa"-Show. Frost trat im Vorprogramm von Georgette Dee mit einem Witwenstriptease auf, erfand kleine Theaterminiaturen, in denen sie als Gigolo mit einer Beate-Uhse-Puppe tanzte, sie beraubte und erwürgte. "Das Leben ist düster und schön. Wo der größte Dreck war, habe ich die größte Schönheit gesucht, weil ich dem anderen nicht getraut habe", sagt sie heute.

In ihren Chansonprogrammen wie "So blau" oder "Fugu" hat sie später weiter mit Vorliebe skurrile Geschichten erzählt. Zum Beispiel die von der lesbischen Krankenschwester Paula, die in ihrem Bett verbrennt. Manche Kritiker schrieben, dass sie das Chanson "getötet" habe. Sie selbst findet, dass das Genre ein wenig aus der Mode gekommen ist. "Ich fände es furchtbar gruselig, in meinem Alter nur mit Federboa auf einem Klavier zu liegen und zu beklagen, dass einen niemand mehr haben will", sagt die Frost. "Das ist doch grauenvoll öde." Die gängige Praxis der immer gleichen Leander-, Dietrich- und Knef-Abende sei ein Trauerspiel.

Auf ihrer Abschiedsreise stehen ihr langjährige musikalische Weggefährten wie Gert Thumser, Gary Schmalzl und Toni Nissl zur Seite. All die Frost-Klassiker kommen noch einmal zu Ehren. Natürlich auch der von der lesbischen Krankenschwester Paula. Eingebettet in eine Rahmenhandlung. Die Zeit der Theater ist in dieser düsteren Zukunftsutopie endgültig vorbei. Cora Frost und ihre Mitmusiker warten in der Garderobe eines Live-Sex-Klubs auf ihren Auftritt als Pausenclowns.

Die Sehnsucht nach der Ferne, die sie damals in Hamburg überkam, hat Cora Frost längst gestillt. Sie reiste von Russland bis Brasilien, sang mit Chico Cesar, spielte mal den Papst, mal Sigmund Freud, mal eine verrückte Mutter in Stücken von Dostojewski bis Kleist. Regelmäßig tritt die seit vielen Jahren in Berlin lebende Sängerin mit dem Puppentheater Das Helmi auf. Beim Gedanken an Hamburg überkommt sie bis heute eine stille Wehmut. Nicht alle Träume haben sich damals erfüllt. Einen Liederabend gemeinsam mit Freddy Quinn, den hätte sie wahnsinnig gerne einmal gesungen.

Cora Frost: "Best of Rest of Cora Frost" heute 20.00, Fliegende Bauten (U St. Pauli), Glacischaussee 4, Karten 18,90 bis 27,90 unter T. 47 11 06 33; www.fliegende-bauten.de