Historiker sind überrascht, wie ausländische Diplomaten im Dritten Reich über die Nazis berichteten. Die meisten Berichte haben kritischen Duktus.

Hamburg. Diplomaten gelten berufsbedingt als äußerst höflich und förmlich. Als die Internet-Plattform WikiLeaks im Herbst vergangenen Jahres Zigtausende vertrauliche Berichte aus amerikanischen Quellen veröffentlichte, erfuhr die erstaunte Öffentlichkeit jedoch, dass sich Diplomaten in internen Einschätzungen höchst undiplomatisch auszudrücken pflegen.

Für die Hamburger Historiker Frank Bajohr und Christoph Strupp von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte war das keine Überraschung. Fünf Jahre lang haben sie ein Forschungsprojekt geleitet, das sich mit Berichten ausländischer Diplomaten über die politische und gesellschaftliche Situation im nationalsozialistischen Deutschland beschäftigte. In zehn Ländern recherchierten Historiker in den jeweiligen Nationalarchiven nach Meldungen, die Angehörige der Botschaften und Konsulate nach Hause geschrieben haben.

Das Ergebnis haben Bajohr und Strupp jetzt in einem Buch veröffentlicht. Neben Aufsätzen zu den Entstehungsbedingungen der Texte und zentralen inhaltlichen Aussagen enthält der Band eine Auswahl an Originalquellen, deren offene und manchmal auch drastische Sprache erstaunlich ist. "Die Offenheit ging so weit, dass Diplomaten nationalsozialistische Regierungsvertreter als Psychopathen und Charaktere aus amerikanischen Gangsterfilmen bezeichnet haben", sagt Bajohr. "Das war Ausdruck der sehr direkten amerikanischen Art, in den französischen Berichten herrscht eher gepflegte Sprache vor, die freilich von Ironie nur so trieft."

Erstaunlich ist, dass nicht nur die Berichte von Diplomaten der großen Demokratien wie den USA und Großbritannien, sondern sogar von offiziell befreundeten Ländern wie Italien einen kritischen Duktus haben. So bezeichnet der italienische Generalkonsul Romano in Innsbruck die SA-Männer, die er in der Pogromnacht am 9. November 1938 bei der Plünderung jüdischer Geschäfte beobachtet, als "liederliche Burschen". Dass auch italienische Berichte die kirchenfeindliche NS-Politik besonders kritisieren, ist nachvollziehbar. Bemerkenswerter ist dagegen, dass sich italienische Konsuln nach Besuchen in Konzentrationslagern kaum weniger kritisch über die Behandlung von Häftlingen äußern als ihre amerikanischen und britischen Kollegen.

Insgesamt zeigen die Berichte, dass sich die Diplomaten mit frischem, unverstellten Blick darum bemühten, die gesellschaftliche Situation und die politische Entwicklung zu analysieren, dabei aber an Grenzen stießen. Die Frage, wie er den weiteren Kurs Deutschlands beurteile, beantwortete der amerikanische Generalkonsul Messersmith mit der Bemerkung, darüber könne er ebenso wenig eine Aussage treffen wie der Direktor einer Irrenanstalt über das zukünftige Verhalten der Insassen.

Oft beobachten die Diplomaten das Verhalten der politischen Stellen und auch der Bevölkerung mit Befremden. So berichtet zum Beispiel der britische Generalkonsul in Hamburg 1934 von einer Hochzeitsfeier. Als alle Gäste mit erhobenem rechten Arm aufstanden und das Horst-Wessel-Lied anstimmten, blieb er indigniert sitzen. Um die peinliche Situation zu überspielen, schlug einer der Gäste schließlich vor, "God Save The King" anzustimmen, was alle gemeinsam taten. "Diese Episode zeigt einerseits, dass manche Hamburger nach 1933 zunächst noch anglophil waren, sonst wäre der britische Generalkonsul kaum zu einer Hochzeit eingeladen worden. Andererseits hielt es damals niemand für anstößig, bei einer Hochzeit mit erhobenem Arm die Nazi-Hymne zu singen", sagt Frank Bajohr.

Geht aus den Berichten hervor, dass sich die Situation in Hamburg von der in anderen deutschen Großstädten unterschied? "Der eine oder andere Report scheint die These von einer Hamburger Sonderrolle zu stützen. So bezeichnet der britische Botschafter Hamburg als 'den vielleicht an wenigsten nazistischen Teil Deutschlands', und ein britischer Konsulatsmitarbeiter, der in Barmbek gelebt hat, meint, die dortigen Arbeiter seien vielfach noch sozialdemokratisch oder kommunistisch eingestellt. Der Fehler vieler Berichte bestand aber darin, dass einzelne Unzufriedenheiten hochgerechnet wurden, um daran eine größere Regimekrise festzumachen, die es tatsächlich nie gegeben hat", meint Bajohr.

Je länger das NS-System existiert, desto düsterer ist der Tenor der Berichte vor allem der amerikanischen, britischen und französischen Konsulate, die oft mehrmals pro Woche ihre Eindrücke schilderten. Diplomaten aller Staaten berichteten vom Frühjahr 1933 an über judenfeindliche Aktionen des Regimes und stimmten darin überein, dass diese immer radikaler werden. Mitte 1942 erkundigte sich zum Beispiel der Schweizer Konsul Franz-Rudolf von Weiss aus Köln, was aus einer deportierten jüdischen Familie geworden sei. Von einer offiziellen Stelle erhält er die Antwort, diese sei wohl "vergast" worden. "Da der Konsul diesen Begriff nicht erklärt, geht er offenbar davon aus, dass seine Korrespondenzpartner im Schweizer Außenministerium wissen, was damit gemeint ist", sagt Frank Bajohr, "davon können wir wieder einmal ableiten, dass der Holocaust zwar nicht in aller Öffentlichkeit kommuniziert wurde, die Fakten aber weitaus stärker bekannt waren, als man das angesichts der offiziellen Geheimhaltung für möglich halten sollte."

Frank Bajohr/Christoph Strupp (Hrsg.), Fremde Blicke auf das "Dritte Reich". Wallstein-Verlag, (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Bd. 49) , 600 Seiten, 42,-