Warum wir Mörderisches lesen und lesen lassen

Wer findet sich eigentlich noch zurecht in der weiten Krimilandschaft? Irrungen und Wirrungen aller Orten, so scheint es. Holzwege ohne Ende, ergo Sackgassen. Trampelpfade, Highways, auch Wanderwege mit Ausblick, das immerhin. Es sei kaum noch möglich, interessante Neuentdeckungen zu machen, urteilten denn auch gut 46 Prozent der Befragten in der Umfrage "Gibt es zu viele Krimis?" des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels.

Was gar nicht einmal überrascht, sind doch in der sogenannten Warengruppe Belletristik knapp 28 Prozent der produzierten Titel Kriminalromane. Die konkrete Zahl schwankt da jährlich natürlich stark, sie geht in die Tausende. (In Schweden übrigens sind es an die 60 Prozent - aber auch das überrascht wenig, weiß man doch, dass nahezu jeder Schwede in seinem ochsenblutrot gestrichenen Holzhaus dem Schreiben von Kriminalromanen frönt. Und das auch noch gut kann!) Henning Mankell etwa hat allein von seinen Wallander-Krimis in Deutschland knapp zwölf Millionen Exemplare verkauft, europaweit haben seine Bücher inklusive der Non-Wallander mehr als 30 Millionen Käufer gefunden.

Es ist nicht allein das Büchermeer, das immer größer und unübersichtlicher wird. Kriminalistisches erobert alle Lebensbereiche. Nicht mehr der Leser hechelt in aufklärerischer Erwartung dem vermeintlichen Täter hinterher, sondern vielmehr scheinen der Leser und der an Kriminalliteratur Interessierte das Opfer zu sein, das Objekt einer vom Marketing gesteuerten Begierde, in deren Fokus allein jenes Neue liegt, das profitabel erscheint. Wen schert's, ob dabei die Qualität auf der Strecke bleibt.

Wenn es doch allein die Bücher wären. Das Kriminalistische hat unseren Alltag geflutet; als wäre das Leben tagein, tagaus so langweilig wie nie zuvor. Was spuckt der Markt nicht alles aus, um unsere (scheinbare?) Tristesse mit seinen Segnungen unterhaltsam zu erhellen: Es gibt Krimidinner landauf, landab, als könnte gutes Essen nicht auch ohne Leiche zum Dessert überaus spannend sein; es gibt Krimireisen etwa in die Eifel (Jacques Berndorf, dem wohl erfolgreichsten deutschen Krimiautor sei Dank oder eben nicht); es gibt Krimiwanderungen, Krimilesungen (logisch, muss es geben), Krimiführungen an fiktive Schauplätze, Krimirätsel, Krimitheater (in Hamburg das Imperial-Theater, so kurios wie lobenswert und erfolgreich). Und natürlich die Kriminalfilme im Fernsehen, Time for Crime, Tatorte aller Orten. Hauptsache spannend. Wenn es denn nur so wäre.

Krimis haben schon immer geboomt in den Zeiten der Krise, Fluchtgedanken mögen da eine Rolle gespielt haben, wenn die Romane denn klassisch gestrickt waren, sprich: Das Böse sitzt am Ende hinter Schloss und Riegel oder wo auch immer, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Alles wird gut.

Kriminalromane gibt es seit Edgar Allan Poe und länger, gute wie schlechte, die Krimilawine trifft auf willige Opfer, die ganz im Sinne von Raymond Chandlers Held Philip Marlowe reagieren, der an einer Stelle in "The long Goodbye" sagt: "Ich bin ein Romantiker. Ich höre nachts manchmal Schreie, und dann gehe ich nachsehen, was los ist." Der Mann kann nicht anders. Gut so.

Aber das Kriminalistische als Entertainmentfaktor? Dinner, Reisen, Ränkespiele? Muss ich das alles haben? Nicht wirklich. Bücher reichen mir. Das richtige zu finden ist nicht immer einfach, kann aber Spaß machen. Man muss halt manchmal viele Wege gehen, um ans Ziel zu kommen. Langweilig ist es auf keinen Fall. Und darum geht es doch nur, oder?

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