Eine Schau widmet sich der Vorbildkunst der Antike und der Pathosformel von Aby Warburg

Hamburg. Die Antikenrezeption in der Renaissance sollte "edle Einfalt und stille Größe" darstellen. So lautete zumindest das herrschende ästhetische System des Begründers der klassischen Archäologie und der modernen Kunstwissenschaft, Johann Joachim Winckelmann (1717-1768). Der Mensch galt ihm als ein Wesen, das im Einklang mit der Welt in sich ruht. Dass jedoch die Vorbildkunst der Antike auch in der dionysischen und zerstörerischen Kraft zu finden ist, diesen Gedanken prägte der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg (1866-1929) in seiner berühmten Pathosformel. Als Terminus technicus ist sie heute fester Bestandteil der Geisteswissenschaften.

Nun steht diese Vorbildkunst im Zentrum einer kleinen, feinen Schau im Saal der Meisterzeichnung der Kunsthalle. "Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg" umfasst rund 50 Zeichnungen und Druckgrafiken. Schwerpunkt sind jene Werke, die Warburg vom damaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, entlieh, um seine Formel 1905 bei seinem Vortrag "Dürer und die italienische Antike" öffentlich vorzustellen.

Als zentrales Beispiel für das Anliegen Warburgs gilt Albrecht Dürers Zeichnung "Der Tod des Orpheus" (1494). Der König der Thraker, Sohn der Muse Kalliope und des Sonnengottes Apollo, sorgte unter den Menschen für friedliche Stimmung nicht etwa durch Heldentaten oder kriegerische Erfolge, sondern durch seine göttliche Musik und seinen Gesang. Allerdings hatte er der Liebe nach dem Tod seiner Geliebten Eurydike gänzlich abgeschworen und gründete seine Kunst ausschließlich auf der Vernunft. Diese Einseitigkeit nahm ihm Dionysos, der Gott des Rausches, übel und sandte Mänaden, mythologische Begleiterinnen, die ihn zu Tode schlugen.

Die rekonstruierte Ausstellung umfasst Arbeiten von Albrecht Dürer, wie die Darstellung der "Melencolia I" (1514), Werke von Andrea Mantegna, darunter das "Bacchanal mit Weinpresse" (1470-1490), oder Antonio Pollaiuolo, etwa dessen eindrucksvolle "Kämpfenden Kentauren" (Ende 15. Jahrhundert). Sie wird ergänzt durch Druckgrafiken des 15. und 16. Jahrhunderts sowie Quellenmaterial von Max Klinger und Arnold Böcklin.

Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg bis 26.6., Hamburger Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00; www.hamburger-kunsthalle.de