Yorck Kronenberg hat zwei Berufe: Er ist Pianist und Schriftsteller. Eine besondere Kombination - auch wenn er selbst nichts dabei findet.

Berlin. Ein wenig scheu schaut er drein, als er die Tür zum Restaurant aufdrückt. Die helle Haut, die blauen Augen verleihen ihm etwas Verwundbares. Der Wind hat ihm Tränen in die Augen getrieben und sein Haar gezaust. Trüge er statt des schwarzen Rollkragenpullovers einen Vatermörder, sähe er jetzt mit seinen Koteletten aus wie ein Künstler aus dem Kreis um dem Komponisten Franz Schubert.

Doch Yorck Kronenberg, geboren 1973 in Reutlingen, ist ein Mann von heute - und einer von morgen. Er ist Pianist und Schriftsteller, hat den internationalen Klavierwettbewerb "Johann Sebastian Bach" gewonnen, er ist bei bedeutenden Festivals aufgetreten; Kritiker bejubeln die Intensität, Tiefsinnigkeit und Klarheit seines Spiels und handeln ihn als Geheimtipp. Am Donnerstag gibt er eines seiner raren Konzerte im Kleinen Saal der Laeiszhalle mit Werken von Bach und Beethoven.

Dem Autor Kronenberg hat erst sein neuer Roman größere Öffentlichkeit beschert. "Ex voto" heißt er. Robert Sieburg, ein deutscher Arzt, ist darin in einem fremden Land verschleppt worden, das von einem Diktator beherrscht wird. Die Sprache seiner Entführer versteht er nicht, den Grund seiner Entführung kennt er nicht. Er solle schreiben, richtet ihm ein Übersetzer aus, über sein Leben, seine Gedanken.

Kronenberg verzichtet darauf, die Handlung an einem konkreten Ort anzusiedeln. So tappen Leser und Protagonist im Ungewissen wie in den hermetischen Welten eines Franz Kafka. "Ex voto" ist ein oft beklemmendes, ganz und gar eigenwilliges Buch.

All das Interesse an seiner Person muss Kronenberg erst einmal verkraften. Das Gespräch beginnt er freundlich abwartend, aber sehr aufmerksam. Seine Antworten wägt er sorgfältig. Anders beim Schreiben: Ähnlich seinen Vorbildern Kleist, Handke oder Thomas Bernhard überlässt sich Kronenberg - er arbeitet altmodisch mit Stift und Papier - ganz der momentanen Eingebung. "Ich plane nicht", sagt er. "Ich hoffe auf die Kraft des Anfangsimpulses." Bei "Ex voto" hat das funktioniert: "Sie sind sehr wichtig für uns", sagt der Übersetzer zu Robert, "durch Sie kommt die Wahrheit." Der Satz trägt das ganze Buch. Monate ist Robert mit der rätselhaften Gruppe auf einer Wanderschaft, deren Ziel und Absicht er nicht kennt und die ihn immer tiefer in ein surreales Leben hineinzieht. Wie es weitergehen wird, weiß Kronenberg oft erst im Moment des Niederschreibens. In den Schreibfluss greift er nicht ein. "Erst wenn ich das Manuskript später abtippe, ändere ich hier und da etwas." Und so steht das Schreiben auch im Zentrum des Romans: Roberts Schreiben und mittelbar auch das Schreiben als solches.

Autobiografische Momente finden sich darin kaum. "Ich habe Robert in seinen Kindheitserinnerungen Klaviermusik hören lassen, damit wenigstens etwas von mir vorkommt", sagt Kronenberg und lehnt sich lachend zurück. Schreiben und Musizieren haben bei ihm von Anfang an zusammengehört. In alten Reutlinger Schulheften finden sich Zeichnungen, Texte und Kompositionen.

Als Student an der Lübecker Musikhochschule hat er komponiert, später auch für den Saarländischen Rundfunk. Dafür ist heute keine Zeit mehr. Die muss er jetzt zwischen Klavier und Stift aufteilen. An dem doppelten Beruf findet er nichts Besonderes. "Musizierende Schriftsteller sind nicht so selten", winkt er ab. "Ohne mich da in eine Reihe stellen zu wollen - Tolstoi hat vermutlich mehr Klavier gespielt als geschrieben." Gespalten fühle er sich nicht: "Beides befruchtet sich. Mein Schreiben ist musikalisch geprägt, ich habe auch schon mehrstimmige Texte geschrieben. Und es kann sehr befreiend sein, als Interpret auch mal in fremdem Auftrag tätig zu werden."

Dabei sei sein Ziel aber nicht nur, zu dem vorzudringen, was der Komponist wollte: "Ich will meine Deutung mit dem Werk zu etwas Drittem verbinden", sagt er. Immer wieder kommt er auf die "Absichtslosigkeit" der Kunst zurück, wie er es nennt: "Kunst muss sich frei ausspielen dürfen, statt Prämissen zu erfüllen." Vom Üblichen lässt er sich auch sonst nicht beeindrucken. Sein Instrument ist nicht vom Standard-Ausstatter Steinway; in der Wohnung am Prenzlauer Berg, wo er mit seiner Freundin lebt, hat er einen Blüthner stehen, gebaut 1947 in der Leipziger Manufaktur. Er schwärmt vom warmen Klang des Instruments - dass die schwarzen Tasten nicht vollendet rechtwinklig sitzen, stört ihn nicht.

An diesem Nachmittag wird Kronenberg aber nicht zu Hause spielen. Er ist im Haus des Rundfunks mit Dieter Hauer verabredet, der ihn als Musikredakteur beim Rundfunk Berlin Brandenburg bei zwei seiner Aufnahmen betreut hat. Im Kleinen Sendesaal wird gerade renoviert. Plastikplanen hängen von den Wänden, Baustaub bedeckt den Boden, aber nicht den Flügel. Als der Lichtkegel einen Kreis um den Pianisten zieht, wird Kronenberg eins mit der Musik. Atem und Bewegungen folgen ihrem Fluss, hin und wieder singt er mit. Es ist, als gäbe es kein Draußen mehr, keine Großstadt und keine Konzerttermine - nur noch diesen Moment.

Klavierabend Yorck Kronenberg 31.3., 19.30 Uhr, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Kleiner Saal. Karten zu 14,20 bis 30,80 unter T. 35 76 66 66

Yorck Kronenberg: Ex voto. Droschl, 188 S., 19,-