Gustav Peter Wöhler spielt die Hauptrolle in dem Musical-Klassiker “Anatevka “ im St.-Pauli-Theater. Das bringt nicht nur ihn oft zum Weinen.

Hamburg. Zwischen 1894 und 1916 entstanden die Geschichten von Tevje, dem Milchmann, die der jiddischsprachige Humorist und Satiriker Scholem Alejchem über einen treu sorgenden, gottesgläubigen Familienvater aus dem ukrainischen Dorf Anatevka erzählt. 1964 entstand daraus das Musical "Fiddler on the Roof" das Jahre später in "Anatevka" umbenannt wurde. In einer fast achtjährigen Laufzeit mit mehr als 3000 Vorstellungen am Broadway wurde es zum größten Musical-Erfolg aller Zeiten. 1968 fand die deutsche Erstaufführung im Hamburger Operettenhaus statt. Ganz dort in der Nähe hat am 26. März "Anatevka" Premiere im St.-Pauli-Theater. Die Hauptrolle spielt Gustav Peter Wöhler, bekannt aus Film, Fernsehen, Theater und auch als Sänger einer Band, die seinen Namen trägt. Das Abendblatt traf ihn zum Gespräch.

Abendblatt:

Das Stück beschreibt eine untergegangene Welt. Was interessiert uns heute daran?

Gustav Peter Wöhler:

Genau das Untergegangene. Man kann mit diesen Menschen weinen, lachen, Gefühle teilen. Tevje ist ein Mensch, der in einem kleinen Kosmos mit strengen Traditionen lebt und der sich mithilfe seiner Töchter und Humor von vielem löst. Am Ende weiß er, dass er sich nicht von allem lösen kann, weil er sich dann nicht mehr als der Mensch fühlt, der er sein will.

Wie haben Sie Ihren eigenen Zugang zu dieser Rolle gefunden?

Wöhler:

Tevje ist eine Art Dorfvorsteher. Bei ihm landen die meisten Informationen. Mich erinnert das manchmal an meinen Vater, der Gastwirt in Eickum war, einem 340-Einwohner-Ort bei Bielefeld. Als junger Mensch wollte ich mich von all diesen Traditionen lösen und jetzt, bei den Proben, merke ich, was mein Vater möglicherweise für Probleme damit hatte. Ich habe aber als junger Mann erst mal brav eine Lehre zum Großhandelskaufmann gemacht. Danach wollte ich Sozialpädagogik studieren. Ein Religionslehrer hat mir abgeraten und mich drauf gebracht, dass ich es mal mit der Schauspielerei versuchen sollte. Doch das traute ich mich nicht. Ich trug eine Brille, war ziemlich klein, dick, und sah mich daher nicht auf einer Bühne.

Wie haben Sie schließlich doch Ihren Weg ins Theater gefunden?

Wöhler:

Als Kind war ich extrovertiert und hab Menschen bei Weihnachts- oder Schulfeiern unterhalten. Ich hab gesungen, viele Mütter waren gerührt und haben geweint. Ich wusste also, was ich auf einer Bühne anrichten kann. Später hat mich Peter Zadek gerettet, als er mir sagte: "Warum machst du eigentlich hier immer einen auf großes Theater? Das sieht doch blöd aus." Ich hab dann erkannt, dass mein Potenzial woanders liegt, eher in der Komik.

1986 sind Sie im Schauspielhaus vorne an der Bühne im Ringelbadeanzug gekrault. Das war saukomisch.

Wöhler:

Das war in "Wie es euch gefällt". Da gab es im Bühnenbild ein großes Viereck. Eva Mattes und Ilse Ritter lagen dort in Badekostümen herum und ich sollte ihnen eine Botschaft bringen. Das haben wir immer und immer wieder probiert, bis Zadek sagte: "Gustav, spring doch da mal rein." Da war kein Wasser drin. Zadek meinte nur: "Zeig mir, dass da Wasser drin ist." Dann bin ich losgekrault. Danach wusste ich, dass meine Wirkung wohl nicht in Heldenrollen liegt.

Was hat denn der Milchmann Tevje von Ihnen?

Wöhler:

Vieles. Ich hadere genauso oft mit mir selbst wie er. Er wünscht sich auch, derjenige im Haus zu sein, der das Sagen hat, weiß aber ganz gut, dass er's nicht ist. Er gibt leicht nach, lässt sich schnell überreden, ist konfliktscheu, findet gerne Notlügen. Nicht, dass ich lügen würde, aber ich kann oft ganz schön flunkern. Wenn ich will, kann ich viel erzählen. Auch überzeugend.

Im Stück ist es wichtig, seinem Glauben treu zu bleiben. Ist Religion wieder ein aktuelles Thema?

Wöhler:

Für Tevje ist der Glaube sehr wichtig. Er spricht mit Gott wie mit einem guten Freund. Sehr offen. Wir wollen aber nichts aktualisieren. Wir erzählen eine Geschichte darüber, wie Menschen gelebt haben. Mit all ihren Problemen und Freuden.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Stück "Anatevka"?

Wöhler:

Dass mich Leute ansprechen und singen: "Wenn ich einmal reich wär / wi di wi di wi di wi di wi di wi di bum." Ich singe das natürlich auch. Aber nicht mit Schmackes. Es gibt schönere Lieder im Stück, bei denen muss man jedes Mal weinen, selbst wenn man spielt. Mir ist schon lange nicht mehr etwas so nahegegangen. Wer da als Zuschauer nicht weint, der muss schon sehr hart sein.

Anatevka: St.-Pauli-Theater, HA-Tickethotline T. 30 30 98 98