Vor 100 Jahren wurde der Dramatiker Tennessee Williams geboren. Seine Werke sind aktueller denn je - auch an Hamburgs Theatern.

Hamburg. Seinen Namen hat er nie gemocht, wie er auch zeitlebens mit sich im Unreinen geblieben ist. Thomas Lanier Williams III, heute vor 100 Jahren in Columbus/Mississippi geboren, fand, dieser Name würde besser zu einem Schreiber von Frühlingsgedichten passen. Davon kann bei Tennessee Williams allerdings keine Rede sein. Der nach Eugene O'Neill wohl bedeutendste amerikanische Theaterautor mit dem weich melodiösen Südstaatenakzent - daher sein Spitzname Tennessee - war ein empfindsamer Ästhet und Exzentriker, ein Kenner und feinfühliger Porträtist der Seele. Und ein Poet der neurotisch gespannten Melodramatik.

Die Triebkraft in seinem Leben wie in seinen Schauspielen sind familiäre und sexuelle Konflikte. Seine prüde Mutter war einem trinkenden Weiberhelden verfallen, Schwester Rose landete mit Schizophrenie in der Anstalt. Und Sensibelchen Tennessee, fantasievoll, hysterisch, künstlerisch und mannstoll veranlagt wie seine Blanche DuBois im Broadway-Hit "Endstation Sehnsucht", wurde vom Vater als "Miss Nancy" gedemütigt. Er holte seinen schreibenden Sohn vom Studium weg und steckte ihn in eine Schuhfabrik. Genau wie es Tom Wingfield in "Die Glasmenagerie" ergeht, dem ersten großen Theatererfolg von Williams. Seinem Bühnen-Alter-Ego im Stück - derzeit auf dem Spielplan des Ernst-Deutsch-Theaters - hat der Autor seinen eigentlichen Vornamen verpasst.

Im amerikanischen Theater der 50er- und 60er-Jahre wäre es undenkbar gewesen, offen auf der Bühne Homosexualität anzusprechen. Williams transformierte seine Passion, seine Sehnsüchte und Verzweiflung in seine heterosexuellen Dramen. Sie handeln von den existenziellen Problemen ihrer Charaktere, der Angst vor sozialem Abstieg und Verlust, von Geld- und Sexgier und dem Verfall der Werte. Seine Figuren verlieren sich in Illusionen, unerfülltem Wunschdenken oder Erinnerungen an eine bessere, glücklichere Vergangenheit. Ihre emotionalen Höhen und Tiefen bieten den Stoff, den Schauspieler als fabelhaftes "Rollenfutter" bezeichnen, mit dem sie brillieren und das Publikum fesseln können. Ein Hauptgrund, warum sich die Stücke bis heute auf den Spielplänen auch der Hamburger Theater halten können. "Eine Zeit lang wurden sie kaum gespielt", sagt EDT-Intendantin Isabella Vértes-Schütter, "aber in einer Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheit und der Auflösung sozialer Strukturen wirken sie aktuell und treffen das Lebensgefühl gerade der jungen Leute."

Neben den zeitlosen Themen, wie Beziehungs- und Generationenkonflikte, eignen sich die dramaturgisch glänzend gebauten Stücke für konventionelle wie auch experimentellere Inszenierungen. Das Thalia-Theater hat Letzteres auf der Foyer-Bühne mit einer eiskalten und reduzierten "Glasmenagerie" oder im Großen Haus bei Stephan Kimmigs "Endstation Sehnsucht" 2008 (mit Maren Eggert als Blanche) bewiesen. Während Regisseur Ulrich Waller am St.-Pauli-Theater das Kolorit der Südstaaten mit Ben Beckers Stanley Kowalski als erotisch bierbauchprallen deutschen Brando aufleben ließ.

"Unser Konzept ist ein Theater der großen Gefühle, wie man es sonst nur aus dem Kino kennt", sagt der Intendant und künstlerische Leiter des St.-Pauli-Theaters. "Die Reeperbahn liegt da nicht weit vom Broadway entfernt. Und da kommt man an Autoren wie Tennessee Williams oder Eugene O'Neill nicht vorbei."

Nicht umsonst seien fast alle deren Stücke mit großen Schauspielern verfilmt worden. "Und diese Figuren faszinieren auch heute noch große Schauspieler wie die Stücke auch heute noch ein großes Publikum."

Die "Well made plays" von Williams halten "sogar" der Übersetzung ins Plattdeutsche stand. Regisseur und Übersetzer Frank Grupe verlegte am Ohnsorg-Theater "Die Katze auf dem heißen Blechdach" aus den Südstaaten ins Haus einer emporgekommenen Reeder-Familie in Hamburg-Blankenese. Und der Vater-Sohn-Clinch zwischen hanseatischem Patriarchen mit zweifelhafter Vergangenheit (Uwe Friedrichsen) und dem sein Schwulsein in stoischem Dauertrinken ersäufenden Sohn und Wunscherben (Oskar Ketelhut) funktionierte großartig.

Die Paraderollen lockten natürlich Hollywoodstars. Manche von ihnen starteten in den Verfilmungen der Bühnenstücke erst richtig durch. Marlon Brando hat Stanley Kowalski in "Endstation Sehnsucht" als attraktiv brutalen "Mr. King Kong" ohne Fell am Broadway wie im legendären Elia-Kazan-Film mit Vivian Leigh als Partnerin gespielt. Auch Elizabeth Taylor ("Die Katze auf dem heißen Blechdach", "Plötzlich im letzten Sommer"), Anna Magnani ("Die tätowierte Rose", "Der Mann in der Schlangenhaut"), Geraldine Page ("Sommer und Rauch"), Ava Gardner und Deborah Kerr (mit Richard Burton in "Die Nacht des Leguan") ernteten für die Kino-Adaptionen zumindest Academy-Award-Nominierungen, wenn schon nicht den Oscar, und wurden international berühmt. Williams zählt zu den wenigen Dramatikern, die es auch in die Filmstudios der Traumfabrik geschafft haben.

MGM landete mit "Cat on a Hot Tin Roof" einen der unwahrscheinlichsten Kassenknüller in seiner Geschichte. 1958 war die vor wenigen Tagen verstorbene Liz Taylor 25 Jahre alt. Sie hatte zuvor ihren dritten Mann Mike Todd durch einen Flugzeugabsturz verloren. Der Schock schmerzte, sie litt, was die Dreharbeiten mit Richard Brooks beflügelte, aber auch erschwerte. Trotzdem begann sie mit Todds bestem Freund Eddie Fisher und Ehemann von Debbie Reynolds anzubändeln. Ein Skandal. Die unverhoffte Parallele zwischen Wirklichkeit und Film (Maggie verführt am Schluss Brick) wusste MGM clever für Publicity zu nutzen.

Wie eine seiner dramatischen Film- oder Bühnenfiguren endete einer der wichtigsten Autoren für das amerikanische Theater der Moderne. In den letzten 20 Jahren seines Lebens ließ der Erfolg nach, der Schriftsteller verfiel dem Alkohol und Drogen, verfasste seine gescholtenen "Memoirs". Sein jüngerer Bruder musste ihn - wie Stella ihre Schwester Blanche in "Endstation Sehnsucht" - mehrmals in eine Klinik einweisen. Am 25. Februar 1983 ist Tennessee Williams in einem New Yorker Hotelzimmer gestorben. Einsam.

Williams im Theater: Die Glasmenagerie bis zum 9.4., Ernst-Deutsch-Theater, Karten T. 22 70 14 20; Williams im Fernsehen: Die Nacht des Leguan mit Deborah Kerr und Richard Burton, Sa, 3sat 20.15 Porträt: Überall ist Süden Sa, 3sat 22.05