Höhepunkt des Hamburger Literaturfrühlings: Der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk liest auf Kampnagel.

Hamburg. Im gerade auf Deutsch erschienenen Debütroman Orhan Pamuks trifft eine seiner Figuren in Paris auf Sartre und hat sogar den Mut, ihn anzusprechen. Ein Mann aus der rückständigen Türkei im Zwiegespräch mit dem französischen Chefintellektuellen - das ist durchaus eine Schlüsselszene des Buchs. Eingebettet ist die kleine Szene in einen opulenten Gesellschaftsroman, der der Welt bislang nur im türkischen Original zugänglich war. Schön, dass es ihn jetzt auch auf Deutsch gibt, Pamuk, der Nobelpreisträger für Literatur, wollte ihn eigentlich gar nicht in anderen Ländern publizieren.

"Cevdet und seine Söhne", das 1982 in der Türkei erschien, ist ein literarisches Erklärbuch, das dem Leser die Türkei im Wandel des 20. Jahrhunderts näherbringt. Außerdem ist dieses frühe, weit ausgreifende Werk des 58-Jährigen eine Fundgrube für literarische Archäologen: So hat er also angefangen, der weltberühmte und vielfach geehrte Autor, der bis auf einige Jahre in New York immer in Istanbul lebte.

So kritisch er die Türkei sieht (die er liebt), so kritisch lässt Pamuk seine Figuren in "Cevdet und seine Söhne" sprechen. Sie arbeiten sich an der Türkei ab, mindestens aber verhalten sie sich in irgendeiner Form zu dem Land, das zwischen Abend- und Morgenland oszilliert. "Cevdet und seine Söhne" spielt in den ersten acht Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Mit dem Land befinden sich die Männer, die in ihm leben, in einer Identitätskrise.

Im ersten Teil des Romans treffen seine Leser Cevdet Bey, einen Elektrohändler, und begleiten ihn einen heißen Sommertag lang im Jahr 1905 auf seinen Wegen in Istanbul. Er ist einer der wenigen muslimischen Kaufleute unter vielen jüdischen und armenischen. Und er ist beseelt von einem gesellschaftlichen Ehrgeiz, er heiratet die Tochter eines hohen Beamten. Die gebiert ihm die Söhne Refik und Osman, die in die im ersten Weltkrieg reich gewordene Firma des Vaters einsteigen. Dann beginnt der Verfall. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe berichtet Pamuk offenherzig von den Romanen der Weltliteratur, an denen er sich orientierte; "Buddenbrooks" und "Anna Karenina" also, keine schlechte Wahl.

Mit 22 begann Pamuk mit der Arbeit an dem Familienepos. Nach fünf Jahren war er fertig mit der Niederschrift der Geschichte, die der seiner eigenen Familie ähnelt (er beschreibt sie auch in "Das schwarze Buch").

Einen Verlag fand er erst 1982. Die türkische Originalausgabe gilt heute als Sammlerstück. Die Familienchronik der Familie Bey hat dagegen einen Zug ins Allgemeine. Wie immer, wenn ein großes Gesellschaftspanorama entworfen werden soll, steht ihr Schicksal stellvertretend für Zeit und Ort.

Wie in Lübeck wollen auch in Istanbul die Söhne nicht so, wie es die Familienräson vorschreibt. Refik will irgendwie zum Aufbau des Landes beitragen und die Lage der Bauern verbessern, er schreibt ein aufklärerisches Buch, sympathisiert mit dem Marxismus und liest westliche Literatur. Sein Freund Ömer steigt beim Eisenbahnbau ein, Muhittin, der verhinderte Dichter, wird Nationalist. Der Dreierbund macht weite Teile des zweiten Teils aus, ein anderer Erzählstrang schildert die Geschehnisse in der Familie, die mit einer Veränderung der Sitten in der sich modernisierenden Türkei konfrontiert wird.

Besonders das Frauenbild wird dort einer Revision unterzogen. Dankenswerterweise. Und mit dem Resultat, dass im letzten Teil von "Cevdet und seine Söhne" endlich nicht mehr die Männer vor den an Heim und Haus gefesselten Frauen und der Familienfron davonlaufen, sondern diese Frauen vom Studium im Ausland träumen dürfen. Zumindest manche von ihnen.

Das letzte Kapitel der Saga ist dem Künstler Ahmet vorbehalten, der das Tun der Altvorderen nur abschätzig kommentiert. Er ist lebensfähiger als Hanno Buddenbrook, immerhin, aber gefangen in seiner Künstlerwelt. Auf dem langen Weg der Türkei nach Westen schreitet er jedenfalls nicht voran.

Die Konstruktion von "Cevdet und seine Söhne" ächzt manchmal unter dem Gewicht der dynastischen und gesellschaftlichen Geschichte. Manchmal wirken zudem die ständigen pathetischen Monologe ungeschlacht und seltsam geschwätzig. Formale Spielereien erlaubt sich Pamuk in diesem Debüt nicht. Es ist trotzdem lesenswert.

Und ist, auf gewisse Weise, der Höhepunkt des Hamburger Literaturfrühlings: Pamuk liest am Montag auf Kampnagel. Auf Türkisch natürlich. Auf Deutsch versuchen sich nun mal nur polyglotte Bestsellerautoren wie Jonathan Franzen, der im Herbst in Hamburg zu Gast war. "Pamuk ist ein wichtiger Autor, ein Publikumsmagnet", sagt Literaturhaus-Chef Rainer Moritz, der auf ein volles Haus hofft. Recai Hallaç liest den deutschen Text, Hubert Spiegel moderiert.

Orhan Pamuk: Cevdet und seine Söhne. Hanser Verlag. Übers. von Gerhard Meier. 658 S., 24,90 Euro. Orhan Pamukliest am 28.3. auf Kampnagel