Auf Kampnagel erfindet Bruno Beltrão Hip-Hop aufregend neu und konterkariert mit seiner Choreographie die Macho-Attitüde des Genres.

Hamburg. Zwei Tänzer stehen nebeneinander. Da hakt sich der eine beim anderen unter. Sanft falten sich beider Unterarme vor der Brust zusammen. Dann legt einer seine Wange in die Hand des Partners. Die zärtliche Geste bei totaler Stille in der großen Halle K 6 auf Kampnagel kommt einem Tabubruch im Machokult des Hip-Hop gleich. Sie provoziert ein verwundertes Raunen im Publikum. Oder war es eher der Ausdruck beifälliger Zustimmung?

Nicht nur in diesem Moment seiner knapp einstündigen Choreografie "H3" stellt Bruno Beltrão das strikte Ritual der sich aggressiv narzisstisch produzierenden Breakdancer auf den Kopf. Der Brasilianer, der von der Straße kommt und so manch Battle als Champion mit Kumpeln siegreich bestand, verzichtet völlig auf Rap, lässt stattdessen häufig Ruhe walten. Aus der Ferne ist Verkehrslärm zu hören. Ein Schlagzeug-Gewitter zieht auf und wieder ab. Elektrische Sounds knistern, Surren steigert sich zu Dröhnen im für Hip-Hop experimentellen Soundtrack. Das visuelle Pendant zum Akustischen schafft Renato Machados Beleuchtung: Krass setzt er helle gegen dunkle Segmente auf der leeren Bühne, erzeugt Stimmungsbrüche mit diffusem Ober- oder scharfem Seiten- und Gegenlicht.

Die eigentliche Musik, den Beat dieses tänzerisch erfindungsreichen und hinreißenden Glanzstücks schlagen die rasenden Schrittfolgen, erzeugen die Körper der neun jungen Männer beim Fallen, Hechten, Rückwärtsrennen oder Erstarren in Ruheposen.

Natürlich sind nur in Popping und Roboting perfekt trainierte Körper in der Lage, so frei mit dem Gesten- und Bewegungsrepertoire, den blitzschnell sichelnden Armen, Schleifschritten und halsbrecherischen Drehsprüngen zu spielen. Die Tänzer zerlegen das rigide Formenvokabular, kombinieren es neu, verzögern es bis zum Stillstand oder beschleunigen es zu akrobatischer Hochgeschwindigkeit. Selten sind Menschen so schnell rückwärts gerannt. Den Schwung dafür geben zwei Helfer, die den Läufer wegkatapultieren.

Die Partnerschaft ist Beltrãos eigentliche Entdeckung im solistischen Show-Kampf des Hip-Hop. Aus Anrempeln, Anspringen oder lässigem Vorbeistreifen entspinnt er Duos voll Dynamik und Eleganz, gewinnt aus den oft riskanten Figuren und Kombinationen der Zweier-, Dreier- und explodierenden Schwarmszenen eine unglaubliche Energie für "H3".

Grupo de Rua/Bruno Beltrão: H3: 25.3., 20.00, Kampnagel, Karten T. 27 09 49 49