Heute gibt die französische Pianistin Lise de la Salle ihr Hamburg-Debüt. Die 22-Jährige fing früh an - und könnte eine der Großen werden.

Laeiszhalle. Als Lena Meyer-Landrut am 29. Mai vergangenen Jahres den Eurovision Song Contest in Oslo gewann, stand sie wenige Tage vor dem Abitur. Alle waren schwer begeistert und beeindruckt, wie lässig unsere süße Lena das wuppte. Klang ja ziemlich nach Stress. Als die Französin Lise de la Salle, sie ist drei Jahre älter als Lena und spielt Klavier, Abitur machte, war sie 17. Zwei Tage vor der Matheprüfung hatte sie ein Konzert in Japan, drei Tage vor der letzten Klausur nahm sie ihre dritte CD in Lissabon auf.

Zugegeben: Lise de la Salle, 22, hat gegenüber der deutschen Popsängerin ein ganzes Jahrzehnt Vorsprung. Ihren ersten Auftritt bei Radio France absolvierte sie mit neun. Da spielte das Mädchen aus Cherbourg schon seit fünf Jahren Klavier. Und spielen hieß im Hause de la Salle wirklich spielen. Nicht üben. "Bis ich elf oder zwölf Jahre alt war, dachte ich, dass Musik so selbstverständlich zum Leben dazugehört wie Atmen. Erst allmählich wurde mir klar, dass das ein Beruf ist, für den man arbeiten muss und der gewisse Einschränkungen mit sich bringt."

Mit elf kam Lise de la Salle aufs Conservatoire National Régional de Paris, mit 15 aufs Conservatoire National Supérieur. Für die Teilnahme an Wettbewerben besaß sie in ihrer frühen Jugend genug Ehrgeiz: "Ich wollte immer gewinnen." Aber seit sie 18 ist, hat sich das Thema für sie erledigt: "Jetzt konzentriere ich mich nur noch auf die Musik", sagte die junge Dame damals.

Lise de la Salle guckt auf Bildern manchmal, als sei sie der Fantasie des Mädchenfotografen David Hamilton entsprungen. Doch wer aus ihrem ländlich wirkenden Äußeren den Schluss zieht, sie sei eine empfindsame Piano-Elfe, den dürfte nicht erst ein Blick auf die stylishen Cowboyboots, die sie manchmal auch bei der Arbeit trägt, eines Besseren belehren. Zwar gibt es von ihr den Satz, sie wolle das Klavier so zum Singen bringen, dass man seinen Charakter als mechanisches, perkussives Instrument vergisst. Aber sie hat ordentlich Kraft in den Fingern, und wenn's sein muss, dengelt sie Akkorde und Melodien so aus der Tastatur, als verstünde sie doch was vom Kühehüten.

Musik, der jähe Stimmungsumschwünge eingeschrieben sind, etwa die von Chopin, liebt sie besonders. Und sie spielt diese emotionalen Wechselbäder so, dass man darin zuerst die Condition humaine erkennt. Die technische Bravour bewundert man erst hinterher.

Lise de la Salle könnte eine der Großen werden. Schon jetzt beschränkt sie sich auf 40 Konzerte im Jahr. Heute gibt sie mit einem Recital ihr Debüt in Hamburg. Sie spielt Chopin, Liszt und Schumann, und nach all den Clips zu urteilen, die von ihr auf YouTube zu sehen sind, steht den Liebhabern intelligenten, leidenschaftlichen Klavierspiels eine Sternstunde bevor.

Diese junge Künstlerin spielt nicht nur ungeheuer gut Klavier. Ihr Ego scheint dabei tatsächlich zu verschwinden. Die Absence dieser Instanz, die uns brillieren lassen und über andere stellen will, die uns dauernd kritisiert und davon abhält zu sein, wer wir wirklich sind, ist kein Fluch, sie ist eine Gnade. Sie bringt die Spielerin selbst um das Stück näher an die Musik heran, das den Künstler vom bloßen Virtuosen trennt. Und sie kann ein Konzert in eine Kommunion verwandeln, in eine religiöse Erfahrung jenseits aller Dogmen und Ideologien.

Am Instrument tauche sie vollkommen in die Musik ein, nehme die übrige Welt nur noch verschwommen und weit entfernt wahr. "Ich bin dann woanders", sagt sie. Nehmen Sie uns heute bitte mit, Mademoiselle de la Salle.

Lise de la Salle: heute, 19.30, Laeiszhalle (U Gänsemarkt) Johannes-Brahms-Platz, Tickets zu 15,- bis 40,- (zzgl. Vvk.-Geb.) unter T. 35 35 55