Nikolaus Blome betrachtet in seinem Buch “Der kleine Wählerhasser“ die Lage der Nation und die Macken des Volkes wie die seiner Vertreter.

Über Politikverdrossenheit sind inzwischen Bibliotheken voll geschrieben worden, ein Buch über Bürgerverdrossenheit ist neu. Der renommierte Journalist Nikolaus Blome hat es geschrieben: "Der kleine Wählerhasser" heißt das kurzweilige wie kluge Werk. Es wendet den Blick auf die Politiker - und ihre Sichtweise auf den Wähler.

Dass die Entfremdung zwischen Volk und seinen Vertretern fortschreitet, offenbart schon die Sprache. Da referiert Angela Merkel von den "Menschen da draußen im Land", andere nennen das Leben außerhalb der Parlamente gar den "vorpolitischen Raum". Man spricht unablässig zum Volk, versteht sich aber immer weniger. Nur die gegenseitige Verachtung eint das Volk und seine Vertreter. Blome bringt das Dilemma auf den Punkt: "Die Deutschen trauen den Politikern immer weniger zu, erwarten von ihnen aber die Lösung immer größerer Probleme."

Der Autor erzählt bizarre Anekdoten. Wie die von der älteren Frau, die sich am Wahlkampfstand der Piraten-Partei deren überschaubares Programm erklären ließ, dankbar das Infomaterial einsteckte und im Gehen meckerte: "Aber das, was ihr da vor Somalia macht, das find ich gar nicht gut."

Die Lektüre erschüttert Vorurteile und weckt Verständnis: etwa für die Frustration der Politiker im Hinblick auf Vollkasko-Sozialstaat-Ansprüche oder Steuerunehrlichkeit. Zwar weiß jeder, dass Dankbarkeit keine Kategorie der Politik ist, aber die zunehmende Schnäppchenmentalität der Wähler - "Was ist für mich drin?" - lähmt das Land und erschwert Reformen. Aus treuen Parteigängern sind anspruchsvolle bis unverschämte Kunden geworden. In der CDU etwa ist die Ansicht verbreitet, die damals reformwillige Union habe bei der Bundestagswahl 2005 nur so schlecht abgeschnitten, weil 40 Prozent der Deutschen im Falle eines CDU-Sieges persönliche Nachteile befürchteten. 2009 setzte Angela Merkel auf Wohlfühlwahlkampf, die Zahl der Bedenkenträger um das eigene (finanzielle) Wohlbefinden sank auf 17 Prozent - es reichte für Schwarz-Gelb. Derlei Sicht aufs Volk schürt Kleinmut. Weit verbreitet ist bei Parlamentariern die weltfremde Sichtweise, Wähler seien unmündig oder - 66 Jahre nach Ende des "1000-jährigen Reichs" - empfänglich für Parolen rechter Rattenfänger.

Blomes Rat an die Politik ist ein Rat ans Land: mehr Mut zu einem offenen Wort, mehr Lust am Streit, mehr Respekt vor der Wahrheit. Und mehr Vertrauen in die Bürger. Das WM-Sommermärchen 2006 habe gezeigt, dass man durchaus eine positive Beziehung zu seinem Land haben kann, ohne radikal zu sein. Blome macht sich in einem lakonischen Ton über die Macken des Volkes und seiner Vertreter lustig, und über die deutschen Betroffenheitsrituale: "Selbst das millionenfach harmlos-heitere Fähnchenschwenken bei der Fußball-WM kam unter das Mikroskop humorfreier Soziologen. Denn wehe, wehe. Wer Schwarz-Rot-Gold sich ans Auto steckt, macht womöglich auch mit, wenn Deutsche demnächst wieder in Polen einmarschieren".

Mitunter geht Blome arg steil, wenn er den milliardenschweren Sozialstaat als "Sedativum gegen alle Arten von Extremismus" oder als "Vollkaskoprämie gegen den nächsten Hitler" geißelt, aber er argumentiert konsequent - wer mehr Streitkultur fordert, darf etwas lauter rufen. Seinen Wert bekommt das Buch dadurch, dass es beiden Seiten den Spiegel vorhält, klagenden Bürgern wie lamentierenden Politikern, und alle auffordert, sich gegenseitig mehr zuzutrauen. In Zeiten grassierender Politik- und Bürgerverdrossenheit kein schlechter Rat.

Nikolaus Blome: "Der kleine Wählerhasser". Pantheon, 160 Seiten, 14,99 Euro