Als der Lothringer Zeichner Jean-Marc Reiser in den 70er-Jahren begann, seine Cartoons in Buchform zu veröffentlichen, mangelte es nicht an lautstarker Empörung. Gerichte befassten sich mit den vor keiner Unflätigkeit zurückschreckenden Comics, und noch 2004 - 21 Jahre nach Reisers frühem Tod - hielten es die Ausstellungsmacher im Pariser Centre Pompidou für angebracht, vor Reisers Derbheiten zu warnen.

Mit Hochgenuss weidete sich der in der Ökologiebewegung engagierte Reiser daran, Tabus auszureizen und die vermeintlich so sittsame Bourgeoisie in die Untiefen von Sexualität und Gewalt zu stoßen. Zur berüchtigtsten Reiser-Figur avancierte dabei der "Schweinepriester" (1982 als "Gros Dégueulasse" im Original erschienen), ein unappetitlicher, schlecht rasierter Mann, der Stumpen rauchend und schwadronierend durch die Stadt zieht und es für angemessen hält, seinen unförmigen Körper mit nicht mehr als einer unförmigen Unterhose, einem "Känguruslip", zu bedecken.

Reisers Schweinepriester, der sich eigentümlicherweise für einen Womanizer der Extraklasse hält, geht - lange bevor Charlotte Roche in Feuchtgebieten wühlte - an die Schmerzgrenzen menschlicher Umgangsformen und kennt keine Hemmungen, seine Ausscheidungsvorgänge zu kommentieren und selbige nonchalant zum Gesprächsthema zu machen.

Reiser, dessen genial grobe Cartoons hierzulande im Satiremagazin "Titanic" einen passenden Erscheinungsort fanden, reiht Provokation an Provokation und ist nie darum verlegen, sich neuen Schweinkram auszudenken. Dem Zürcher Kein & Aber Verlag ist deshalb nicht genug dafür zu danken, Reisers Werke, die derzeit im Frankfurter Caricatura-Museum zu sehen sind, wieder auf den Markt zu bringen. Die ersten vier Bände - darunter die legendäre Sammlung "Unter Frauen" - liegen vor, und wer intellektuelle Größe zeigen möchte, legt diese Edition auf den viel beschworenen Coffee-Table. Für die Leser dieser Zeitung sei jedoch sicherheitshalber angemerkt: "Vorsicht! Einige der abgedruckten Bilder könnten die Gefühle einzelner Betrachter verletzen."

Jean-Marc Reiser: "Der Schweinepriester". Übersetzung: Bernd Fritz. Kein & Aber Verlag, 79 Seiten, 14,95 Euro.

In "Aufgeblättert" stellen im Wechsel Rainer Moritz (Literaturhaus), Annemarie Stoltenberg (NDR) und Wilfried Weber Bücher vor.