Im Literaturhaus stellt Paul Murray seinen gefeierten Internatsroman “Skippy stirbt“ vor. Er erzählt von einem Sammelsurium kurioser Gestalten.

Literaturhaus. Einem TV-Känguru aus der Kinderstunde ähnlich zu sehen hat eher wenig Vorteile, wenn man seine Jugend auf einem irischen Jungeninternat führt, das sehr eindringlich an eine stramm geführte katholische Kadettenanstalt erinnert. Doch Daniel "Skippy" Juster hat auf den ersten Seiten dieses liebevoll durchgeknallten Romans ganz andere Probleme als seinen Spitznamen. Er stirbt nämlich, einfach so. Auf dem Boden eines Dubliner Cafés, mitten in einem Wettbewerb, wer die meisten Donuts verputzen kann, er oder sein Freund Ruprecht. "Sag Lori", schmiert Skippy noch mit Himbeersirup und letzter Kraft als Testaments-Versuch auf den Boden, dann war's das für ihn. Und die große Rückblende beginnt.

14 Jahre alt zu sein war schon immer hart. Die Pubertät ist bekanntermaßen ein Kleinkrieg mit dem Rest der Welt. Der Grat zwischen Tragödie und Komödie ist hauchdünn, wenn man nach seinem Platz im Hier und Jetzt sucht. Überall lauern Abgründe, überall drohen Fettnäpfe. Die Hormone kochen über, Mädchen sind auf Vamp geschminkte Bilderrätsel auf zwei Beinen. Jungs sind schon durch bloßes Vorhandensein eine Zumutung.

Noch ein auf lustig gedrechselter Internats-Schmöker, bedeutungsschwanger in drei Teilbände portioniert? Hogwarts, nur ganz und gar ohne Zauberstäbe? Weit gefehlt. Der 1975 geborene Ire Paul Murray erzählt in seinem zweiten Roman, den man auf der Grünen Insel euphorisch feierte, von einem Sammelsurium kurioser Gestalten und Lebens-Irrläufer, die so skurril sind und so gut erkannt, dass man sie sofort ins Herz schließen muss. Da ist Howard "the Coward" Fallon, ein hasenfüßiger Lehrer und gescheiterter Banker, der sich in eine scharfe Aushilfs-Kollegin verknallt und später dafür sorgt, dass die Jungs seiner Klasse endlich kapieren, wie wichtig Traditionen, Haltung und Geschichtsbewusstsein sein können. Oder Mario Bianchi, einer der wenigen Kumpel von Skippy und Rupert, der von seinem Schlag bei Frauen aller Art halluziniert wie eine Busladung Casanovas und gleichzeitig sein Glücks-Kondom seit drei Jahren im Portemonnaie versteinern lässt.

Ruprecht ist übergewichtig und faselt ständig ungefragt von seinen elfdimensionalen Urknall-Theorien. Sein Vater hat keinen schicken Beruf, mit dem es sich vor den anderen Boomtown Kids gut angeben ließe, sondern ist Klempner. Seine Mutter hat Krebs. Und Horn, ausgerechnet Horn, spielt Ruprecht auch noch. Schlimmer geht's kaum.

"Unser Universum, könnte man fast sagen, ist aus Einsamkeit aufgebaut", sagt Ruprecht, und ahnt womöglich noch nicht mal, wie nahe er einer der brutalen Wahrheiten des Lebens schon ist. Erst recht, da Seabrook ein Paralleluniversum ist, in dem sehr eigene Regeln gelten. Direkt in Sichtweite liegt St Brigid's, ein Mädcheninternat, damit die Jungs auch ja nicht vergessen, was Versuchung ist. Wie man ihr nachgibt, zeigt eine Halloween-Party, die unfassbar komisch außer Kontrolle gerät.

Skippys Angebetete Lori, die auch deutlich weniger umgängliche Verehrer hat, versteckt ihre Diätpillen im Bauch eines Plüschteddys. 14 Jahre alt zu sein war schon immer hart. All das zeigt uns: Für eine ordentliche Dosis "Teenage Angst" im Niemandsland zwischen einer Lehranstalt und dem Rest der Welt ist man niemals zu alt.

Etliche der Lehrer am traditionsverknöcherten Seabrook College, das auch schon mal besser war als sein Ruf, leiden ebenso darunter wie die Meute, die sie im Auftrag gut verdienender Eltern hüten und lebenstauglich schleifen sollen. Ehemalige sind als Gescheiterte dorthin zurückgekehrt, sie klammern sich hier kleinlaut an die letzten funktionierenden Hierarchie-Strukturen ihres Daseins wie Ertrinkende an den Rettungsring, obwohl es, wie sollte es auch anders sein, etliche düstere Geheimnisse gibt. Father Green beispielsweise wird von seinen Schutzbefohlenen "Père Vert" genannt. Und der tragikomische Tod des Sensibelchens sorgt dafür, dass sich tatsächlich etwas ändert. Allerdings nicht ausschließlich zum Besseren.

Wie einige der lebenslänglichen Loser in diesem Mikrokosmos der Gesellschaft trotz alledem über sich und ihre Miseren hinauswachsen, das ist ein anrührendes Lesevergnügen. Denn Murrays Erzähl-Grundton ist, bei aller Tragik, trotz des vielen fast stumm ertragenen Dramas, immer komisch, immer aufrichtig. Er nimmt ernst, was jeder von uns kennt und doch bitte nie wieder durchleiden möchte. Als erwachsene Lektüre jedoch, die man am Ende erleichtert und gerührt weglegen kann, ist das ganze gottverdammte Elend großartig. Teenager sind ja auch nur Menschen.

Paul Murray: "Skippy stirbt". Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein und Martina Tichy. Verlag Antje Kunstmann, 782 S. (3 Bände), 26 Euro.

Lesung: Heute, 20 Uhr, gastiert Murray mit seinem Roman im Literaturhaus (Schwanenwik 38). Heiko De Groot liest den deutschen Text, Shelly Kupferberg moderiert. Karten: 6-10 Euro