Horror, Grusel, Schocker: Die Fantasy Filmfest Nights geben den Einblick in ein Filmgenre, das den meisten Menschen fremd ist. Ein Selbstversuch.

Hamburg. Die Sonne lacht, die Vögel zwitschern, die Luft duftet nach Frühling. Draußen zumindest. Hier drinnen, im Saal 4 des Cinemaxx, ist hingegen in den nächsten Stunden mit Lebensfreude nicht zu rechnen. Hier grinst höchstens ein irrer Killer diabolisch, bevor er sich über sein nächstes Opfer hermacht. Denn hier finden an diesem Wochenende die Fantasy Filmfest Nights statt. Das heißt: Horror, Grusel, Pyschothriller von mittags bis weit nach Mitternacht. Eine Ausdauerprüfung für Fans, die im Foyer des Cinemaxx leicht an ihren mit Wurststullen, Apfelschnittchen und Mineralwasser gefüllten Leinenbeuteln und City-Rucksäcken zu erkennen sind. Es sind 80 Prozent Männer, das Gros zwischen 20 und 40. Normalos, vorzugsweise in Jeans und T-Shirt, die aussehen wie der nette Nachbar von nebenan.

Wegen des guten Wetters auf diesen Jahreshöhepunkt zu verzichten, kommt für keinen der etwa 200 Besucher infrage, die sich gegen 14 Uhr einfinden, um mit "The Hole 3D" in den langen Tag zu starten. Auch nicht für mich, schließlich will ich wissen, wie es sich anfühlt, einen ganzen Tag lang auf eine blutbespritzte Leinwand zu blicken, in die Abgründe des Menschseins zu schauen, die ganz realen Horrorbilder aus Fukushima gegen die Horrorfantasien aus den USA, Norwegen und, ja, auch aus Japan einzutauschen. Was macht das mit mir? Kommen diese fiktiven Bilder mir noch nahe angesichts von Erdbeben, Tsunami und weiterhin drohender Kernschmelze?

Stockend setzt sich die Gruselmaschine in Gang. "The Hole 3D" erzählt von zwei Jugendlichen und einem Kind, die eine verborgene Falltür öffnen und plötzlich mit ihren tiefsten Ängsten konfrontiert werden. Vor einem gewalttätigen Vater beispielsweise, der hoffentlich im Gefängnis für immer weggeschlossen ist. Zwar verspüre ich in diesem Moment die erste Gänsehaut des Tages, aber für die ist vor allem der Tonschnitt verantwortlich, der die Auftritte des Bösen mit kanonenschlagartigen Soundeffekten verbindet.

"In diesem Sujet gibt es die spannendsten und innovativsten Filme zu sehen", sagt in einer Pause zwischen den Filmen Fantasy-Veteran Peter, 52, der seit 1987, dem Startjahr, kein Festival ausgelassen hat. Außerdem sei er ein eher ängstlicher Mensch und liebe es, sich seiner Angst auszusetzen - in dem Wissen, dass ihm ja nichts passieren kann. "Angstlust" hat der Psychoanalytiker Michael Balint das bereits 1960 genannt und damit ein Erklärungsmuster für die Beliebtheit beispielsweise von Achterbahnfahrten und eben auch Horrorfilmen geliefert.

Von Lust spüre ich bei dem, was ab 18.30 Uhr zu sehen ist, allerdings nichts. Umso mehr von Angst und Ekel. In "I Spit On Your Grave" wird eine junge Frau von Hinterwäldlern zunächst mehrfach vergewaltigt, um dann grausame Rache zu nehmen. Da werden Körperteile abgehackt und Menschen mit einem Höchstmaß an Sadismus gequält. Mir zieht sich der Magen zusammen, ich ducke mich weg, es ist zu viel. Einige Zuschauer um mich herum lachen. Weil Regisseur Steven R. Monroe seine Rachefantasien so grotesk übertreibt, dass auch ich die gezeigten Gewaltausbrüche nach einer Weile als das abtun kann, was sie sind: irreal.

Ganz anders "Kidnapped", eine spanische Variante von Michael Hanekes "Funny Games", in der eine Kleinfamilie durch eine ultrabrutale Bande terrorisiert und gemetzelt wird. Als eine an den Haaren durch die Wohnung geschleifte Mutter die Täter verzweifelt anfleht, wenigstens ihre Tochter zu verschonen, als die nackte Angst in den Augen des Vaters flackert, der nicht weiß, wie er seine Familie beschützen soll, ist es mit meiner sorgsam aufgebauten Distanz vorbei. Diese Szenen wirken ähnlich schockierend wie die Katastrophenbilder aus Japan und verbreiten ein ähnlich dumpfes Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Als gegen 22 Uhr der letzte Schuss fällt, bin ich wie erschlagen im Kinosessel versunken.

Jetzt täte ein Schnaps gut, doch dafür ist an diesem Tag ebenso wenig Zeit wie für eine Reflexion des Gesehenen. Hier geht es Schlag auf Schlag, und mehr als ein schneller Gang zum Klo ist zwischen den Filmen nicht drin. Zumal als Nächstes Takashi Miikes Samurai-Epos "13 Assassins" auf dem Programm steht. Ein großer Wurf, der mit seinen spektakulär choreografierten Massenkampfszenen an die Meisterwerke eines Akira Kurosawa ("Die sieben Samurai") erinnert. Trotzdem: Nach mittlerweile zehn Stunden Blut und Geschrei wird der Körper schwach. Ein Kaffee hätte was, aber im Cinemaxx sind wir inzwischen unter uns. Sämtliche Verkaufstheken haben geschlossen, in den anderen Sälen werden die Popcornbrösel vom Teppich gesaugt, selbst ein Teil der Fantasy-Gemeinde macht schlapp.

Mit etwa 50 Verbliebenen werfe ich mich in die letzte Schlacht, und die findet im trollverseuchten Norwegen statt. Es geht in einsame Wälder, vorbei an Geröllfeldern, und auch ich fühle mich zunehmend zerschlagen. Ringe mit dem Sekundenschlaf, nicke dann auch mal ganz weg und schrecke plötzlich von infernalischem Gebrüll geweckt hoch. Es ist 2.12 Uhr, und der Troll dreht richtig auf. Mir doch egal. Mir reicht's. Ob jetzt noch ein Arm vom Rumpf getrennt wird oder Hirnmasse an die Wohnzimmerwand klatscht: Ich bin übervoll, will endlich wieder an die frische Luft, im wahrsten Sinne durchatmen und vielleicht auch einfach nur einen kleinen Vogel singen hören. Bis zum Sonnenaufgang sind es ja nur noch ein paar Stunden.

Als ich nach Hause komme, schalte ich als Erstes den Fernseher ein. Videotext. Gibt es Neuigkeiten aus Fukushima? Der ganz reale Horror, er hat mich schon wieder eingeholt.