Am Hamburger Schauspielhaus feiert Franz Wittenbrinks schmissiger Liederabend über liebende und leidende “Eltern“ Premiere.

Hamburg. Aretha Franklin war zur Premiere von Franz Wittenbrinks Liederabend "Eltern" im Schauspielhaus leider nicht dabei. Aber wenn Marion Breckwoldt als Ehetherapeutin den von Libidoverlust geplagten Ehemann mit dem Prince-Song "You Sexy Motherfucker" anröhrt, dann kommt sie der Soulkönigin an Ausdrucksstärke ziemlich nahe. Ja, der Musiker und Regisseur, der vor knapp 20 Jahren mit "Sekretärinnen" am Schauspielhaus ein neues, sehr erfolgreiches Theatergenre erfand, den Wittenbrinkabend, hat auch mit seinem neuen Liederzyklus wieder jene animierende Mischung aus ironischer Menschenbeobachtung und gefühlsaufgeladenen Liedern geschaffen, die so viel Laune macht. Vier Paare samt Oma, Lehrerin und Therapeutin führen singend mal liebend, mal leidend vor, wie anstrengend Erziehung ist, wie frustrierend der Verlust von Sex, Eigenständigkeit und Freiheit oder wie ideologisch verbohrt Mutter- und Vaterschaft heute sein kann. Das ist lustig und kurzweilig, und wunderbar singen können sie alle, die Schauspieler. Auf der Skala der Abende, die uns Franz Wittenbrink in den letzten Jahren am Schauspielhaus, dem Thalia und dem St.-Pauli-Theater präsentiert hat, rangiert "Eltern" im oberen Drittel. Unten.

Nach "Vatertag", "Lust", "Mütter" oder "Nachttankstelle" - um nur einige zu nennen - führt uns Wittenbrink nun "Eltern" vor, jene komische Spezies, die am Anfang ihres neuen Lebens Beckenbodengymnastik macht, zwischendrin um die beste Klassenlehrerin rangelt und am Ende unter dem Auszug ihrer Lieblinge leidet. All das und noch viel mehr hat Wittenbrink in Liedern gefunden, die Elternleid und -freud kommentieren und "Sind so kleine Hände" heißen - oder "Ritalin".

Klischees werden bedient und vorgeführt: Da ist das junge Paar, bei dem die Frau versehentlich schwanger geworden ist (Julia Nachtmann/Martin Wißner). Sie nennt sich Jessy und hofft, mit diesem Künstlernamen einmal ganz groß rauszukommen, aus Norderstedt. Dann die Spätgebärende mit dem Karrieremann (Hedi Kriegeskotte/Janning Kahnert), das Ökopärchen (Anne Weber/Tim Grobe) und der Zahnarzt, der mit seiner Assistentin gern auf dem Motorrad herumbraust (Sandra Maria Schöner/Achim Buch). Er singt unter der Dusche "Über sieben Brücken musst du gehen" und lacht über diesen Zahnarzt-Insider, verrät das Programmheft. Sie alle werden Eltern, werden glücklich und verzweifeln. Dass die Solidarität unter Eltern gering ist, dass jeder alles besser weiß, das kennt man aus dem wahren Leben und freut sich, wenn das Ensemble singt: "Mein Kind ist geiler als dein Kind". Im Song über die kinderreiche Berliner Schickeria vom Prenzlauer Berg, auch Pregnant Hill genannt, heißt es: "Dein Kind kann auf der Blockflöte flöten, meins kann deins mit bloßen Händen töten".

So macht man sich singend lustig über Klassendünkel und Kinder, die hier Jakob und da Justin heißen. Am Ende, so versteht man, haben die einen zu viel und die anderen zu wenig erzogen, und die Kinder haben das Besondere verloren, frei nach der Devise: Die Zeit heilt alle Wunder.

Zu Beginn des Abends sieht man die werdenden Väter kräftig Schwangerschaftsgymnastik machen. Später singen die Körner-Fanatiker Mozarts "Papapapapapageno, Papapapapapagena" und schwingen Ökowindeln, Babyöl, Vollwertkost und Wollware. Eine junge Mutter bricht aus und tritt als Lady Gaga mit "Bad Romance" auf, die ältere Mutter bettelt ihren Sohn frei nach Jacques Brels "Ne me quitte pas" an, "Bitte geh nicht fort".

Erstaunlich, wie gut jeder aus dem Ensemble singen kann. Von Anne Weber, die die Ökotusse gibt, kennen wir das schon seit Langem. Ebenfalls von Tim Grobe, der ein großartiger Rocksänger ist, aber mit Stevie Wonders wunderbarem Liebeslied "As", das er gemeinsam mit Sandra Maria Schöner vorträgt, seine musikalische Vielfalt zeigt.

Schöner hat sowieso den Swing gepachtet, ob sie nun "Flugzeuge im Bauch" hat oder "Feeling Good" singt. Auch Breckwoldt, Buch und Nachtmann interpretieren ihr Lieder kraftvoll. Kahnert, Kriegeskotte und Wißner bleiben ein wenig dahinter zurück.

Franz Wittenbrink hat viele der Songs neu und schmissig arrangiert. Seine vierköpfige Band klingt, als seien es mindestens doppelt so viele. Ein bisschen viel Deutsches ist dabei. Und gelegentlich zitiert Wittenbrink sich selbst. Wie oft hat er uns schon "Born to Be Wild" vorspielen lassen? Na ja, das kommt immer gut. Warum die Eltern allerdings am Ende zitternd und zuckend im Altersheim sitzen müssen, ist rätselhaft. Sitzen da nicht mindestens so viele, die nie Kinder hatten?