Das Café Royal Salonorchester eröffnet heute das Elbinsel-Gipsy-Festival in Wilhemsburg. Das Porträt eines kontrastreichen Ensembles.

Bürgerhaus Wilhelmsburg. "Die Älteren" nennt Clemens Rating sie oft, die drei Grand Seigneurs des Café Royal Salonorchesters. Respekt und Wärme schwingen in seiner Stimme mit, wenn der Gitarrist das sagt. Und die Älteren - Bummel, Pello und Baro - sie lachen viel unter ihren Schnauzern, wie sie da auf der Empore im Abaton-Bistro sitzen, musizieren, essen, trinken, klönen und von ihren Lieben erzählen, der Sintifamilie Weiss aus Wilhelmsburg.

Bummel Weiss hat seine Violine mit einer Serviette unters runde Kinn geklemmt. Vor fast 50 Jahren, mit sieben, hat er begonnen, Geige zu spielen. Jetzt schaut er aus kleinen lustigen Augen hinüber zu seinem Cousin Baro Kako Weiss am Akkordeon. Dessen Schultern zucken über dem wuchtigen Instrument im Takt. Der Mund des 60-Jährigen verzieht sich beim Spiel, als folge er der Melodie, die auch nie strichgerade ist, sondern die Unebenheiten des Lebens in sich trägt.

"Die Gefühlswelten, das Tempo, die Einflüsse - das geht durch ganz Europa", sagt Rating über die Lieder und streicht sich seine halblangen Haare aus der Stirn. "Das ist Teil der Geschichte der Sinti, die überall alles aufgesogen haben." Dementsprechend eint das Café Royal Salonorchester Gipsy-Swing und Kaffeehaus-Sound mit alten Zigeunerweisen, die "die Älteren" noch von ihren Urgroßvätern gelernt haben.

Und sie machen mit einer Tiefe Musik, die Freude, Schmerz und Stolz von Generationen transportiert. Die vom Freiheitsdrang erzählt, im Wohnwagen unterwegs zu sein. Und von der Trauer um die Vorfahren, die in Konzentrationslagern starben. Pello Weiss, mit 64 Jahren der Älteste, streicht den Bogen seiner Viola federnd und konzentriert. Der weiße Schnurrbart setzt sich von seiner dunklen Haut ab.

Er pausiert kurz, lauscht den anderen und nickt für den nächsten Einsatz Saxofonist Kako Weiss zu. Der Jüngste, der sein Instrument lachen und auch klagen lassen kann. "Das Feinfühlige ist auch Teil unserer Kultur", sagt der 30-Jährige, der sein dickes Haar zurückgekämmt trägt. Zu erleben ist diese Intensität auch auf dem dritten Elbinsel-Gipsy-Festival im Bürgerhaus Wilhelmsburg, das das Salonorchester heute eröffnet. Oder eben jeden ersten Montag im Monat im Abaton-Bistro.

Die Gäste am Grindel heben ihre Gläser und senken die Blicke. Konnten sie mit Django Reinhardts "Tears" noch ihrer Nostalgie nachspüren, nimmt Edmund Csokas "Ungarische Hochzeit" sie mit auf einen flotteren Ritt. "Wir haben bei jedem Konzert Leute, die weinen. Auch sehr viel älteres Publikum. Ich habe das Gefühl, dass die ihr ganzes Leben Revue passieren lassen. Bei unserer Musik sind Stimmungen dabei, die erinnern an eine Hochzeit, an etwas Kindliches oder an erlittene Verluste", sagt Rating. "Aber auch alle Spannungen des Alltags fließen mit ein." Dieser intime Akt, die Seele zu öffnen, verletzlich zu werden, beruht auf Gegenseitigkeit. "Im besten Fall verlassen Band und Zuhörer das Konzert mit einem Gefühl von Erlösung und Hoffnung."

Seit sechs Jahren besteht das Orchester, ab und an hat die Besetzung gewechselt. Jüngster Neuzugang ist Gerd Bauder am Kontrabass, ein schmaler Typ im Anzug, dessen Augen fast unterm dunklen Pilzkopf verschwinden. Mit seiner Rechten zupft der 43-Jährige akkurat und einfühlsam die Saiten.

Drei Jahrzehnte Altersspanne stimmen sich beim Salonorchester aufeinander ein. "Ein riesiges Auf und Ab des Kennenlernens" sei das gewesen, erinnert sich Rating, der wie Bauder keine Sinti-Wurzeln hat. "Es ist nicht selbstverständlich, da als Außenstehender reinzukommen", sagt der 44-Jährige und verweist auf die Doku "Djangos Erben" von 2008. Regisseurin Suzan Sekerci porträtiert darin die Band und ihr Leben in der Sinti-Siedlung am Niedergeorgswerder Deich.

"Mir kommt das dort ein wenig so vor wie ein katholisches Dorf in Bayern", sagt Rating. Allerdings, so stellt er fest, seien die persönlichen Unterschiede mittlerweile größer als die kulturellen. "Wir sind alle erfahren genug zu wissen: Die Widersprüche, die zum Leben gehören, sind eigentlich die Goldstücke." Die Ecken und Kanten, sie bleiben stehen. Und sie klingen sehr gut.

3. Elbinsel-Gipsy-Festival 18.3. (ab 20.00) + 19.3. (ab 15.00), Bürgerhaus Wilhelmsburg (Bus 13), Mengestr. 20, Tagesticket: 15,- / erm. 12,-, Festivalticket: 26,-/erm. 20,-; www.caferoyal.de