Hamburg. Wenn ein junger Künstler gleich zu Beginn seiner Karriere zur Sensation hochgejubelt wird, ist Vorsicht geboten. Zu viele vermeintliche Stars sind ganz schnell wieder als Sternschnuppe am PR-Himmel verglüht und danach tief in der Versenkung verschwunden. Doch im Falle von Ray Chen besteht wohl die berechtigte Hoffnung auf eine längere Laufbahn. Bei seinem Gastspiel im kleinen Saal der Laeiszhalle zeigte der gerade mal 22-jährige Geiger jedenfalls, dass er etwas zu sagen hat - und nicht bloß virtuose Kunststückchen vorführt, die am Ende natürlich auch ihren Platz im Programm hatten.

Vor allem in der Sonate von César Franck fesselten Chen und sein Klavierpartner Julien Quentin mit großen Spannungsbögen und hitzigen Emotionen. Dabei formte der australische Geiger taiwanesischer Herkunft auf seiner Stradivari einen warmen, leuchtkräftigen Ton, der hervorragend zur Sinnlichkeit dieser hoch romantischen Musik passte.

Mit feinen, stellenweise noch ausbaufähigen Farbwechseln kostete er die wechselnden Stimmungen aus und modellierte aus den vier Sätzen vier verschiedene Charaktere.

Ray Chen begreift die Franck-Sonate als Abbild eines menschlichen Lebenslaufs, von der stürmischen Jugend über die Midlife-Crisis bis zur friedlichen Rückschau des Alters.

Auch in Giuseppe Tartinis "Teufelstriller"-Sonate betörte er mit großem Ausdruck und seinem dichten Legato-Gesang. Bei der Chaconne aus Bachs d-Moll-Partita hinterließ dieser Ansatz dann allerdings schon ein paar Fragezeichen: Ist das - bei aller Liebe zum "schönen" Ton - stilistisch noch angemessen? Wären hier nicht doch mehr rhetorische Prägnanz und ein etwas schlankerer Zugriff angebracht, wie wir es von der historischen Aufführungspraxis gelernt haben? Womöglich braucht der hochbegabte Ray Chen aber einfach noch ein bisschen Zeit, um die Antworten zu finden. Hoffentlich bekommt er sie auch. Es wäre ihm überaus zu wünschen.