Vor genau 75 Jahren wurde das Kriegerdenkmal am Dammtor enthüllt, das häufig Ziel von Farbbeutelattacken und Protestbemalungen wurde.

Hamburg. 15. März 1936: Zackig marschieren Veteranen des Infanterie-Regiments Nummer 76 am Dammtor auf, gefolgt von einer Ehrenkompanie der SS und Abordnungen der NSDAP und der Wehrmacht. Von einer Tribüne aus verfolgen Offiziere der alten Reichswehr und der neuen Wehrmacht den Aufmarsch, der mit Marschmusik untermalt wird. Dann fallen die Hüllen und geben einen wuchtigen Block aus Muschelkalk frei, auf dem der Bildhauer Richard Kuöhl ein martialisches Relief gestaltet hat: In Viererreihen marschieren lebensgroße Soldaten des 76er-Regiments mit Stahlhelm und geschultertem Gewehr in endloser Kolonne um den Block, der die todessüchtige Inschrift trägt: "Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen". Schließlich ergreift General Wilhelm Knochenhauer, der Befehlshaber des Wehrkreises 10, das Wort: "Wir werden den jungen Hamburger Soldaten dahin bilden und formen, dass er mit weit geöffnetem Herzen und im Innern mit 'Augen rechts' an diesem wundervollen Denkmal des stolzen Regiments vorüber schreitet, um aus den unvergesslichen Heldentaten der 76er und aus dem großen Heldentum deren Gefallener Kraft und Stärke für das eigene Tun zu erringen."

Ehrengast der Denkmalsenthüllung ist Senator Georg Ahrens, ein strammer Nazi und enger Vertrauter von Gauleiter Karl Kaufmann. Zufrieden betrachtet er das neue Denkmal, das ihm sehr viel besser gefällt als das alte 76er-Denkmal, das der Dresdner Bildhauer Johannes Schilling für die im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gefallenen Soldaten des Regiments geschaffen hatte. Die Figurengruppe stand ursprünglich in der Esplanade und wurde erst 1926 zur Fontenay in Rotherbaum verlegt. Sie zeigt keinen heroisch marschierenden Soldaten, sondern einen Engel, der die Gefallenen beweint.

Schlimmer noch findet Ahrens das Hamburger Ehrenmal an der Kleinen Alster, das von dem Bildhauer Ernst Barlach stammt, der längst als "entartet" gilt. Das Relief der trauernden Mutter mit Kind, das seit 1932 an die 40 000 im Ersten Weltkrieg gefallen Hamburger Soldaten erinnert, passt mit seinem unheroischem Gestus nicht mehr ins Bild. Die rechten Parteien hatten dieses noch vom sozialliberalen Senat in Auftrag gegebene Mahnmal von Anfang an als Provokation empfunden - nicht zuletzt auch deshalb, weil fast gleichzeitig das Kaiser-Wilhelm-Denkmal vom Rathausmarkt entfernt worden war. Um diesen pazifistischen "Stachel im Fleisch" zu neutralisieren, ließ die nationalsozialistische Stadtverwaltung das Barlach-Relief 1938 verkleiden, gleichzeitig setzte man einen "adlerartigen, aus der Asche aufsteigenden Phönix" auf den Steinblock, den der Bildhauer Hans Martin Ruwoldt geschaffen hatte.

Nach Kriegsende entfernte die Stadtverwaltung den Phönix, rekonstruierte das Barlachsche Relief und widmete das Mahnmal nun den Gefallenen beider Weltkriege. Dass das 76er-Denkmal am Dammtor trotz seiner offenkundigen Nazi-Ästhetik auch 75 Jahre nach seiner Enthüllung noch das Stadtbild prägt, gehört zu den Merkwürdigkeiten der Hamburger Nachkriegsgeschichte. Noch merkwürdiger ist der Umstand, dass 13 Jahre nach Kriegsende der Schöpfer des Denkmals mit einer Ergänzung beauftragt wurde. Im Abendblatt vom 13. Oktober 1958 war zu lesen: "'Zur Ehre der Gefallenen und Vermissten des Zweiten Weltkrieges', das steht auf der Gruftplatte aus Muschelkalkstein, die am Sonnabend in einer feierlichen Gedenkstunde im Ehrenmal der 76er am Dammtor gelegt wurde. (...) Ein Ehrenzug des Lehrbataillons der Heeresoffizierschule war mit Fackeln aufmarschiert. Entworfen wurde die 50 Zentner schwere Platte von dem 70 Jahre alten Hamburger Bildhauer Richard Kuöhl, der schon das Ehrenmal für den Ersten Weltkrieg gebaut hatte."

Vor allem seit den 1970er-Jahren fanden mehrfach neonazistische Aufmärsche, ebenso aber auch Antikriegsveranstaltungen an dem Denkmal statt, das häufig Ziel von Farbbeutelattacken und Protestbemalungen wurde. Da das kriegsverherrlichende Monument immer heftigere Kontroversen auslöste, lobte die Stadt 1982 einen Künstlerwettbewerb für ein kommentierendes "Gegendenkmal" aus. Das nationalsozialistische Kuöhl-Denkmal sollte als Geschichtszeugnis bleiben, aber durch ein zusätzliches Kunstwerk zum Antikriegsdenkmal umgedeutet werden - ein allzu anspruchsvolles Ziel, das kaum erreichbar schien. Die Jury, der auch der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka angehörte, fand jedenfalls keinen der 107 eingereichten Entwürfe geeignet. Schließlich erhielt Hrdlicka selbst den Auftrag für eine vierteilige Skulpturengruppe in Form eines zerbrochenen Hakenkreuzes.

Das Werk sollte den "Hamburger Feuersturm", "Verfolgung und Widerstand", "Soldatentod" und "Frauenbild im Faschismus" thematisieren. Wie viele Werke des renommierten Wiener Bildhauers sorgte auch sein Hamburger Monument in der Öffentlichkeit für heftigen Streit. Auch zwischen der Kulturbehörde und Alfred Hrdlicka kam es bald zu Auseinandersetzungen, was dazu führte, dass das Gegendenkmal nur zur Hälfte realisiert werden konnte und bis heute ein Torso blieb.