Im Malersaal in Hamburg geht es in “Gonzo“ um die Grenzerfahrungen eines jugendlichen Trios. Ein überdreht-sprunghaftes Gedankenspiel.

Hamburg. Drei junge Leute sitzen am Tisch. Das Mädchen trägt eine Augenklappe. Eine verwegene Piratenbraut? Wer weiß das schon. Auffallend ist: Die beiden Jungs sind fast wie sie gekleidet. Sie tragen pinkfarbene Hosen, kariertes Jackett, weißen Segeltuchhut, Sonnenbrille. Fröhlich farbige Streetwear zwischen Klub und Strand. Das offenbar verschworene Trio scheint einen Freund namens Gonzo zu haben. Die Titelfigur in Kristo Sagors, mit den Darstellern Nadine Schwitter, Marios Gavrilis und Thorsten Hierse für das Junge Schauspielhaus entwickelte Stück tritt jedoch nie auf.

Ist Gonzo nur eine Fantasie? Ein Idol? Ein Symbol? Diese und andere Fragen bleiben in Sagors assoziativ-sprunghaftem Gedankenspiel über die Suche junger Leute nach persönlicher und sexueller Identität unbeantwortet. Vieles ist heute erlaubt und möglich. Wie die drei müssen auch die jugendlichen Zuschauer (ab 16 Jahren) in Daniel Wahls Malersaal-Inszenierung dieses so irritierenden wie witzigen Experiments mit Grenzerfahrung, Rausch und (falschen) Vorbildern zu eigenen Antworten und Standpunkten finden.

Offen und in ständiger Bewegung wie die Akteure ist auch die Spielsituation. Viva Schudt hat den Malersaal mit einer Vorhang-Installation in einen trügerisch glitzernden, unwirklichen Traumraum verwandelt, der auch das Publikum einschließt. Ventilatoren halten die langen, lamettaähnlichen Fransen in sachter Schwingung und versetzen die silbrige Oberfläche in eine beständige Vibration, in der sich die innere Unrast von Emily, Hannes und Olaf spiegelt. Befinden sie sich in einem Klub, auf einer Party, auf einem Drogentrip? Oder treiben die erotisch zueinander hingezogenen Freunde eines ihrer Konkurrenz-Spielchen nach der Regel "Alles einmal machen, pur und bewusst, aber nur ein einziges Mal"?

Legen die Schauspieler mit Hut und Brille das coole Gonzo-Image ab, erzählen sie Geschichten aus dem Leben ihrer Figuren. Emily verlor durch einen Steinwurf Gonzos das rechte Auge. Olaf (Marios Gavrilis) lernte von Gonzo das Tanzen und hat wohl mit ihm auf der Kuschelcouch gepennt. Lüge oder Wahrheit in einem Wettkampf um die geilste Story, den schärfsten Kick? Emilys Narbe ist allerdings einmal zu sehen.

Olaf versucht auch Hannes, den zynischen Studenten, zu verführen, wird dabei aber von Emily abgelenkt und zum ersten Beischlaf mit einer Frau gelockt. Danach und über Hannes' Vorschlag, doch mal einen Dreier zu versuchen, kippt die Situation des Herumprobierens mit Drogen, Gewalt, Sex und riskanten Selbstversuchen. Verkörpert Gonzo für das Trio den Traumtypen? Wollen sie sein wie er? Ist er ein charismatischer Führer, wie er einmal genannt wird? Oder steht er doch vielmehr für eine schicksalhafte Begegnung oder Wendung im Leben der Kumpel?

Klar ist nur: Die Rausch-Szenen, von Sagor im Techno-Rhythmus geschrieben und in raschem Beat von Daniel Wahl inszeniert, handeln vom Abenteuer der Selbstfindung. Die drei könnten ebenso gut nur eine Person sein, die sich beim Computerspiel oder in Speed-Halluzinationen aufspaltet und neugierig mit Gender- und Identity-Surfing herumspielt.

Im Gegensatz zu einer Internetstunde macht das intensive und glänzend eingespielte Trio die Kicks und Konflikte hautnah und ironisch erlebbar, greift auch mal zu E-Gitarre (Gavrilis) und verstärktem Cello (Schwitters), um akustisch Frust oder Gefühlsstürme zu entladen. Die Zuschauer halten mehrmals mucksmäuschenstill den Atem an, erkennen - über die lässigen Sprüche und rotzige Systemkritik lachend - etwas von sich oder ihrer Haltung. Genau darin besteht der Vorzug des Stücks und generell des Theaters: spielerisch einen Raum für Lebensentwürfe und -versuche zu öffnen, von denen sicherlich nicht nur Jugendliche etwas lernen können.

Gonzo ab 16 Jahren, 14./15.3. (20 Uhr), 23.3. (19 Uhr) und 24./25.3. (11 Uhr) im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses, Karten: Tel. 24 87 13; www.schauspielhaus.de