Bandoneonspieler, Komponist, Musikrevolutionär: Mit der “Piazzolla-Nacht“ wird der Künstler posthum zum 90. Geburtstag gefeiert

Kulturkirche. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden: Astor Piazzolla, der große Erneuerer der argentinischen Volkskunst Nummer eins, des Tangos. Am 11. März 1921 kam er zur Welt, in Argentinien, in Mar de la Plata, ein paar Hundert Kilometer südlich der Hauptstadt. Aber aufgewachsen ist er in New York, wo die Eltern mit dem Dreijährigen hinzogen und blieben, bis ihr Sohn 16 war. Piazzolla starb am 5. Juli 1992 in Buenos Aires - der Geliebten all jener, die den Tango lieben, sei er alt oder neu, getanzt, gesungen oder rein instrumental wie der Tango Nuevo.

Pünktlich zum Geburtstag richtet ein bunt gemischtes Ensemble aus Hamburger Musikern, Sängern und Tangotänzern dem napoleonisch klein gewachsenen Helden heute ein langes Fest aus - die Piazzolla-Nacht.

Ganz früh hatte er angefangen mit dem Bandoneon, dem heillos komplizierten Knopfakkordeon, das kein Akkordeon ist, weil man zum Akkordedrücken nicht nur einen Finger braucht, sondern so viele Finger, wie der Akkord Töne haben soll. Und weil das Instrument beim Zusammendrücken einen anderen Ton von sich gibt als beim Auseinanderziehen. So ein mühsam zu bedienendes Gerät also sah Astor Piazzolla als Kind eines Tages bei einem Trödelhändler am East River in New York. Er musste es haben. Zu Hause saß der Vater, ein Friseur, manchmal mit verweinten Augen abends am Grammofon und hörte sich die alten Tango-Schellacks aus Argentinien an, mit Geigen, Bandoneon und Gesang. Doch was für den Vater Sehnsuchtsmusik war, trieb den Sohn eher aus dem Haus. Bach wollte er spielen, wie der Nachbarsjunge. Große, ernste Musik. Keine Tangos.

Er hörte und spielte Bach. Aber er hörte auch all den Jazz aus erster Hand, den man damals, in den 20er-, 30er-Jahren, in New York erleben konnte - selbst wenn man noch zu jung war, um in die Klubs in Harlem eingelassen zu werden. "Cab Calloway hörte ich durch die Tür des Cotton Clubs", erzählte Piazzolla. "Ellington, Gershwin und Benny Goodman liefen ständig im Radio. Alle diese Einflüsse wären niemals in meine Musik geraten, wenn ich in Argentinien groß geworden wäre."

"Meine Musik": Piazzolla schuf ein einzigartiges, aus Dann-doch-Tangos, europäischer Konzertmusik, Anklängen an Jazz und episch erzählender Filmmusik dicht verlötetes Werk voller Kraft, voller Härte, voller virtuos gebändigter Gefühle. Mal klingt die Musik schön traurig, dann wieder bäumt sie sich gegen alles und jeden auf.

1954, nun schon Anfang 30, hatte Piazzolla noch immer nicht die allerbeste Meinung über den Tango. Doch in Paris, wohin er zwecks Fortbildung in der hohen Kunst des Komponierens gereist war, trieb ihm die berühmte Lehrerin Nadja Boulanger den Ehrgeiz aus, weiterhin verwechselbar europäisch zu schreiben. Sie wollte ihn unverwechselbar argentinisch und wies ihm den Weg zurück zu seinen Wurzeln. Piazzolla schrieb weiterhin Suiten und Opern und Zyklen, aber nun vom Tango aus.

Die Musiker heute Abend, darunter der Geiger Rodrigo Reichel, Jakob Neubauer am Bandoneon und Gints Racenis am Klavier, spielen mit dem Ensemble Occident und dem Chor St. Johannis Altona unter Mike Steurenthaler ein Best-of Piazzolla, außerdem erklingt die "Misa á Buenos Aires" von Martín Palmeri, bei der Julia Schilinski den Part für Mezzosopran singt. Und ab 22.30 Uhr wird eine Milonga getanzt. Astor, der Nichttänzer, wird's verzeihen.

Piazzolla-Nacht , heute, 20.00 (Milonga ab 22.30), Kulturkirche Altona (S Bahn Holstenstraße), Max-Brauer-Allee 199, Tickets zu 13,- bis 24,- unter T. 44 02 98; www.kulturkirche.de