Sich selbst einzuschätzen ist gar nicht so einfach - das stellt Alexander Josefowicz bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, fest.

Verzweifelte Singles beiderlei Geschlechts treibt schon allein das Wort in den Wahnsinn: Traummann. Für Suchende ist es das auf ein Podest gesetzte Ideal, für Noch-Nicht-Gefundene die nervtötende Inkarnation der Ungerechtigkeit des Lebens.

Was denn nun einen Traummann ausmacht, ob es der Waschbrett- oder doch eher der Waschbärbauch ist, der gern beschworene Humor (Was ist eigentlich so verdammt lustig an George Clooney, Brad Pitt oder Hugh Jackman?) oder die prall gefüllte Brieftasche - ich maße mir nicht an, diese Frage schlüssig oder gar endgültig beantworten zu können. Zu sehr unterscheiden sich die Maßstäbe, zu viel Verschiedenes kommt in diesem einen Blick zusammen, der entscheidet: Dich will ich.

Ein Beispiel: Zwar habe ich kein sexuelles Interesse an anderen Männern, weiß aber die Party, die eine Christopher-Street-Day-Parade heutzutage glücklicherweise ist, durchaus zu schätzen. Außerdem nutze ich den alljährlichen Umzug gern, um mein Ego aufzupolieren. Denn beim CSD scheine ich, wenn nicht in die Kategorie Traummann, so doch zumindest in eine ähnliche, etwas weniger langfristig ausgelegte zu fallen. Alle paar Meter werde ich freundlich beäugt, angesprochen, umgarnt. Balsam für das Ego.

Und das wirklich Schöne ist, dass die Herren immer Verständnis für das höfliche Abwiegeln ihrer Avancen haben. Ob Lederbär oder ephemeres Jüngelchen, negative Erfahrungen mit dem Angebaggertwerden kann ich nicht vorweisen. Ganz im Gegensatz zu guten Freundinnen von mir. Jede hat eine lange Liste von spektakulären Fehlschlägen meiner Geschlechtsgenossen parat, die sie gern teilt. Mit meist großer Belustigung höre ich mir die Anekdoten über alkoholisierte oder schlicht vom Testosteron übermannte Möchtegern-Casanovas an, die wortreich darauf hingewiesen werden, dass man lieber eine Beziehung zu einem Lockenwickler oder einem gammeligen Toastbrot führen würde, als mit diesem speziellen Exemplar Mensch auszugehen.

Wenn ich sonst schon keine Ahnung habe, dann weiß ich doch zumindest, dass "Anmachsprüche" auf dem Niveau von a) "Kennen wir uns nicht irgendwo her?" oder einer Variante von b) "Dein Vater war ein Dieb. Er stahl das Leuchten der Sterne und setzte es in deine Augen" kaum Aussichten haben, den Hoffnungsfrohen im besten Licht erscheinen zu lassen. Unweigerlich fühle ich mich nach diesen Geschichten besser. Schließlich gehöre ich nicht zu den Holzköpfen, hormonellen Zwangsneurotikern und Rhetorikkrüppeln. Hm, wenn ich es recht bedenke, sehe ich auch gar nicht so übel aus. Von diesem "Humor" habe ich auch schon einmal gehört. Vielleicht bin ich ja doch ein Traummann ...

Bevor es aber so weit kommt, dass ich vor lauter eingebildeter Vollkommenheit an meiner eigenen Hybris ersticke, rufe ich einfach einen meiner Kumpel - nennen wir ihn Michael - an. Michael ist knapp zwei Meter groß und Besitzer eines Körpers, auf den Apoll neidisch wäre: großflächig tätowiert, rote Haare, Muskeln wie alpine Vorgebirge. Dazu gesellen sich ein hervorragender Charakter, Humor (ich kann nichts dafür, aber er ist wirklich lustig) und messerscharfe Intelligenz. Er ist zu allem Überfluss auch noch tierlieb, hat eine Katze aus Griechenland und ein dreibeiniges Kaninchen von einer Verkehrsinsel gerettet. Oder kurz gefasst: Dieser Mann gilt nicht.

Jedes Treffen mit ihm gleicht einer mentalen kalten Dusche. Ich komme mir fett, doof, humorlos und so eloquent wie ein Kantholz vor und bin heilfroh, dass er schon eine Freundin hat und als direkte Konkurrenz ausfällt.

Wenn es doch nicht immer so schwierig wäre, die Waage zwischen Supermann und Superblöd zu finden.