Oksana Sabuschkos “Museum der vergessenen Geheimnisse“ erzählt die Geschichte der Ukraine

Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko ist durch ihren Roman "Feldstudien über ukrainischen Sex" berühmt geworden, man müsste eigentlich sagen: berühmt-berüchtigt. Denn wie sie die sadistisch-masochistische Beziehung zwischen der Heldin und deren Ehemann schildert, findet sich nicht allzu häufig in der Literatur. Sie scheut sich vor keinem Wort und käme es aus der Vulgärsprache. Doch war das natürlich nur eine Seite der Geschichte. Die andere widmete sie der historisch-politischen Entwicklung des Landes, und beide haben bei ihr miteinander zu tun. So verwebte sie die Themenkomplexe zu einer kühnen tiefenpsychologischen Studie über ihr Land und dessen Bewohner.

Die Historie steht auch im Mittelpunkt des neuen Romans "Museum der vergessenen Geheimnisse". Dem Titel entsprechend teilt die Autorin das Buch nicht in Kapitel, sondern in Säle ein. Fasziniert geht der Leser durch die Räume und begutachtet die Exponate. Und ihm, dem das allermeiste neu ist, wird bewusst, dass er so gut wie nichts über die Ukraine weiß: die schrecklichen Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs, die deutsche Besatzung, die sowjetische; der verlorene Kampf um die Unabhängigkeit. Nach der Lektüre jedenfalls ist dem Leser einiges vertraut; denn von alldem erzählt der Roman in mitreißender Weise, einfühlsam und böse, voller Trauer und Zorn - letztendlich aber nicht ohne Zuversicht.

Die Ich-Erzählerin Daryna geht auf die Vierzig zu, eine bekannte Fernsehjournalistin, die eine anspruchsvolle, populäre Sendereihe macht. Auf der Suche nach Zeugen für eine geplante Filmdokumentation über die Partisanin Helzja begegnet sie ihrer Liebe. Adrian ist deren Großneffe. Daryna quält sich mit der Vergangenheit ihres Landes, wenngleich sie auch mit der gegenwärtigen Situation nicht einverstanden ist, die sie bis ins kleinste aufschlussreiche Detail beobachtet und davon in beißendem Spott erzählt. All die Männer, die ans große Geld wollen oder in die Politik oder beides miteinander verbrämen. Dazu die passenden jungen Frauen, die nicht viel Sympathie ausstrahlen. Von Helzja aber findet sie kaum eine Spur. Die Archive sind seit den Verwerfungen leer geräumt oder verschlossen. In einer raffinierten Struktur wechselt die Autorin kapitelweise Zeit und Ort des Geschehens. Vom heutigen Kiew geht es etwa 1943 nach Lemberg, 1947 nach Finsterwalde, zurück ins Kiew der 1970er-Jahre und so fort.

Oksana Sabuschko erschöpft sich nicht in der messerscharfen Analyse des Ist-Zustands und der Vergangenheit, sie schafft auch Raum für das Übersinnliche. Es gibt zwei Ich-Erzähler: Daryna und Adrian, und es gibt die allwissende Autorin, die von dem berichtet, was den Partisanen Adrian und Helzja geschah. Diese Kapitel sind von unglaublicher atmosphärischer Dichte und elektrisieren den Leser vor Spannung geradezu.

Auch Daryna hat unter der Sowjetzeit leiden müssen. Ihr Vater, einer der Ingenieure, der am Kiewer Kulturpalast bauten, wurde in die Psychiatrie gebracht, wo er bald starb. Für Daryna klären sich letztendlich die Geschehnisse, die Helzja und Adrian mit dem Leben bezahlten. Ein Archivar, auch dessen Schicksal von unsäglicher Bitterkeit, der nicht bereit war, eine Akte herauszurücken, erzählt ihr die Geschichte von Verrat und Ermordung.

Inzwischen hat Daryna ihren Job verloren, die Männer mit dem Geld bestimmen jetzt im Fernsehen, was gesendet wird. Den Film aber, über Helzja und das Trüppchen Partisanen, den wird sie machen.

Oksana Sabuschko: "Museum der vergessenen Geheimnisse" Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil. Literaturverlag Droschl, 760 S., 29 Euro