Die Zeit der “ewigen Nebenrolle“ ist vorbei: In dem Drama “Die Glasmenagerie“ am Ernst-Deutsch-Theater ist Angelika Thomas am Ziel ihrer Träume.

Ernst-Deutsch-Theater. Es gibt Schauspieler, die stehen ihr Leben lang in der zweiten Reihe, spielen klaglos eine Nebenrolle nach der anderen. Auch Angelika Thomas ist so eine typische Hinterbänklerin des Theaters. Als junges Mädchen gab sie all die Gretchens und Luises, feierte mit Jacques Offenbachs "Herzogin von Gerolstein" 1980 einen Riesenerfolg am Thalia-Theater, ab 1987 war sie 22 Jahre lang festes Ensemble-Mitglied. Zuletzt konzentrierte sich ihr Auftritt auf wenige, gut platzierte Sätze am Abend. Das glaubt man kaum, wenn man die Mimin trifft, sie ist voll jugendlich sprühender Wachheit und bestechendem Humor den Wirrnissen des Lebens gegenüber.

Doch jetzt ist die Zeit der "ewigen Nebenrolle" vorbei, vom 10. März an spielt Thomas am Ernst-Deutsch-Theater die Amanda Wingfield in Tennessee Williams' Drama "Die Glasmenagerie", Regie führt Yves Jansen. Eine Traumfigur. "Das hat mir so gefehlt", sagt sie. "Es ist eine der tollsten Rollen überhaupt." Eine, die ihr alles abverlangt. "Diese Frau ist ja permanent in höchster Aufregung. Mit jeder Faser ihres Herzens hängt sie ihren eigenen Träumen nach und versucht diese, ihren Kindern überzustülpen, damit die erleben, was sie nicht erleben durfte. Und damit liegt sie total falsch."

Die abgehalfterte Südstaatenschönheit Amanda lebt in den 30er-Jahren mit ihren erwachsenen Kindern zusammen, dem verhinderten Schriftsteller Tom, der mit einem Fabrikjob die Familie durchbringt, und der gehbehinderten Laura, die vor lauter Tristesse begonnen hat, Glasfiguren zu sammeln. Es sind die Jahre der Großen Depression. Der Stau der Glückssehnsucht wird immer bedrückender. Der Besuch von Toms Freund Jim löst eine mütterliche Überreaktion und eine Katastrophe aus. "Die Glasmenagerie ist ein Bild für diese ganze Familie in ihrer Zerbrechlichkeit", sagt Angelika Thomas, selbst Mutter dreier Kinder.

Tennessee Williams, der Begründer der Südstaatengotik und Zeichner großer Sittengemälde moralischen Verfalls, wäre am 26. März 100 Jahre alt geworden. Ohne ihn wäre im Leben von Angelika Thomas manches anders verlaufen. Ans Theater wollte, musste sie, seit sie als 17-Jährige in Williams'"Endstation Sehnsucht" mit Mario Adorf und Hannelore Schroth am Theater in Herford zu Tränen rührte. Ihr ganzes Schauspielerleben verbrachte Angelika Thomas in festen Engagements in Bremen und Köln, an der Schaubühne Berlin, am Schauspielhaus in Hamburg. Und am Thalia. Man versteht, warum dieses Ensemble immer als eines der besten der Republik galt. Weil jede Inszenierung bis ins Kleinste exzellent besetzt war. Unter anderem mit dieser impulsiven Darstellerin.

Mit dem Wechsel von Ulrich Khuon nach Berlin 2009 löste sich eine gut eingespielte Theaterfamilie auf. Thomas wagte die Selbstständigkeit. "Irgendwann wurde mir das Fremdbestimmtsein zu viel. Ich habe in den vielen Jahren auch viel gedient." Das war nicht immer lustig, wie sie einräumt. "Da muss man manche Kröte schlucken."

Das alles ertrug die 1946 in Eickum geborene Schauspielerin mit viel westfälischer Bodenständigkeit. "Ich komme aus einer gesunden, kleinbürgerlichen Familie und neige dazu, glücklich zu sein, das Beste aus allem zu machen", sagt sie. Dem drohenden Frust entkam sie in den 80er-Jahren mit erfolgreichen Soloprogrammen als Chansonsängerin sowie Film- und TV-Rollen. Sie wirkte in Serien vom "Großstadtrevier" bis zum "Tatort" mit, filmte mit Leander Haußmann und Kai Wessel. In Heinrich Breloers "Die Manns - Ein Jahrhundertroman" gab die wandlungsfähige Mimin die Julia Therese Mann, in der romantischen Dora-Heldt-Verfilmung "Tante Inge haut ab" die Charlotte, Frau von Papa Heinz.

Das moderne Regietheater ist bis heute nicht ihre Welt. Am Thalia-Theater mit dem ungeheuer fantasiebegabten Andreas Kriegenburg "Unschuld" von Dea Loher zu erarbeiten fand sie wunderbar, auch wenn sie nur eine Minirolle innehatte. "Er schafft eigene Welten", sagt sie. Auch Stephan Kimmigs feinsinniges Schauspielertheater in "Das Fest" von Thomas Vinterberg gefiel ihr oder die Rolle der Königin Gertrude in Jürgen Kruses "Hamlet".

In der aktuellen Arbeit am Ernst-Deutsch-Theater findet sie, was sie lange vermisst hat. "Ich habe ein großes Bedürfnis danach, wieder die Tiefen einer Figur suchen zu dürfen", sagt sie. "So zu tun als ob. Ich will mitteilen, mitfühlen, mitleiden. Das war lange Zeit bei vielen Regisseuren völlig verpönt. Das wollten die nicht mehr sehen." In der Rolle der Amanda Wingfield kann sie genau das endlich zeigen.

Die Glasmenagerie Premiere Do 10.3., 19.30, Ernst-Deutsch-Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten von 15,- bis 31,- unter T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de