Wenn kein Wunder geschieht, bedeutet eine Mieterhöhung das Aus von Hanse-CD, dem renommierten Plattenladen für Klassikfreunde.

Hamburg. Bachs Weihnachtsoratorium, nicht akademisch musiziert, mit Originalinstrumenten, musikantisch beschwingt? "Da geht eigentlich nur René Jacobs." Die beste Aufnahme von "La Traviata"? "Da würd ich nur die alte Gesamtaufnahme mit Ileana Cotrubas, Placido Domingo unter Kleiber nehmen." Eine ganz besondere Aufnahme der späten Beethoven-Quartette? "Unbedingt das Busch-Quartett, aufgenommen Ende der 30er-Jahre im Exil in den Abbey Road Studios in London." Eine exotische Jazz-CD, einmal nachts im Radio gehört, Singstimme und Bass? "Shirley Jordan - kann aber dauern, gibt es nur in Skandinavien." Neun Wochen später liegt die CD auf dem Ladentisch. Stammkunde Stefan Gwildis hat nur ein paar Töne aufgeschnappt, sie der Crew von Hanse-CD vorgesungen. Sie findet alles - "100-prozentig".

Das Fachgeschäft an den Großen Bleichen, Hanse-Viertel/Außenseite, ist ein Treffpunkt für Fans klassischer Musik, von Jazz und DVDs. Hier arbeiten acht Kenner, darunter studierte Musikwissenschaftler; die Fachverkäuferinnen und -verkäufer sind selbst Fans, die ihr Fachgebiet genau beobachten. Hier kann man über Musik diskutieren, bekommt Hinweise auf Aufnahmen, die man selbst nie gefunden hätte. Kein Wunder, dass viele Künstler, die in der Musikhalle oder an der Oper gastieren, genauso den Weg hierher finden wie Hamburger Musiker und Kulturliebhaber; bekannte Namen wie John Neumeier, Ulrich Tukur oder Hilary Hahn stehen auf der Kundenliste.

Doch was seit 1983 eine Institution war, ist plötzlich ein bedrohtes Biotop. Zum 1. April soll der Ausverkauf starten, Ende Juni sollen endgültig die Lichter ausgehen bei Hanse-CD. Warum? Die ECE, die das Hanse-Viertel für den Eigentümer Allianz betreibt, möchte das Hanse-Viertel "nach vorne bringen", wie ECE-Sprecher Christian Stamerjohanns sagt. Die Vorschläge, denen die Allianz zugestimmt habe, sehen einen "optimierten Branchenmix" vor. Pech für Hanse-CD: Zwar sei dieses Geschäft "Gold wert" für die Einkaufspassage in der City, "es gibt ja immer weniger individuelle Läden mit einem solchen Charme". Allerdings könne man den Mietvertrag nicht mehr zu den bisherigen Konditionen verlängern, denn die lägen bei nur etwa 40 Prozent des Marktüblichen in dieser Gegend, die in den vergangenen Jahren erheblich aufgewertet worden sei.

Davon können Manfred Schüttler und Karin Busche, die Geschäftsführer von Hanse-CD, viel erzählen. Fast drei Jahre lang war das Nachbarhaus ihres Ladens eine Baustelle, das Umsatzminus aus dieser Zeit hat ihre Kasse schwer belastet. Ein Umzug mit neuer Ladenausstattung sei nur sinnvoll, wenn er sich durch eine gute Lage refinanzieren lässt. Denn auch von anderer Seite kommt Druck: von großen Läden, deren CD-Abteilungen schon mal unter Einkaufspreis verkaufen, und von Internet-Versendern wie Amazon, die nach Hause liefern. Versenden - das kann Hanse-CD auch; nur sind die Dimensionen eines Einzelgeschäfts eben deutlich übersichtlicher.

Ein Vorschlag zur Güte der ECE - ein Laden im Inneren des Hanse-Viertels - ist für die Hanse-CDler keine Alternative: "Er geht über zwei Etagen, der größere Teil im Kellergeschoss, das wird von den Kunden nicht angenommen und ist schwer im Auge zu behalten." Seit Monaten gehen Briefe hin und her, die Fronten scheinen verhärtet, ein substanzielles Entgegenkommen der ECE können die Betreiber von Hanse-CD nicht feststellen.

Wenn nicht noch ein Wunder passiert, das irgendwo in der City zu einer passenden Ladenfläche für Hanse-CD führt, wird es düster aussehen für die Liebhaber von Klassik- und Jazz-CDs, die fachliche Beratung suchen.

"Dann muss man wohl nach München oder Berlin ausweichen, um so etwas zu finden", sagt der Designer und Bühnenbildner Peter Schmidt enttäuscht, der es immer geschätzt hat, dass man im Hanse-Viertel seinen Geschmack kannte und ihm entsprechende CDs empfohlen hat. "Für mich wird die Hamburger Kulturlandschaft entschieden ärmer ohne die leidenschaftlichen Musik-Kenner von Hanse-CD", sagt Schmidt.

So sieht das auch André Frahm vom Independent-Laden Michelle Records am Gertrudenkirchhof. "Dass das ausgerechnet in einer Zeit passiert, wo 'Geiz ist geil' schon langsam wieder verschwindet, ist hart. Dabei trägt sich Musik ja immer stark von Mensch zu Mensch, von Ohr zu Ohr weiter. Im Hamburger Netzwerk der Läden, die noch was von Musik verstehen - wie Zardoz, Groove City, Plattenrille, Burnout -, würde Hanse-CD fehlen." Michelle Records hat zum Glück einen verständigen Vermieter, sagt Frahm.

Registriert hat Manfred Schüttler, dass ECE-Chef Alexander Otto am 1. März das Bundesverdienstkreuz bekam - "ausgerechnet mit der Begründung, er habe sich um die europäische Stadtkultur verdient gemacht".